Auf der Suche nach meiner künstlerischen Intention zwischen zwei Welten

Seit über 30 Jahren bin ich als Bildhauer, Maler und Kunsttherapeut aktiv im bildnerischen Bereich tätig. Woher kommen denn die Impulse meines Gestaltens und Wirkens? Die Frage nach der Intention in der Kunstschöpfung beschäftigt mich schon seit Jahrzehnten, sowohl philosophisch, wie auch künstlerisch im eigenen Schaffen.

Früher stellten sich solche Frage kaum. Zumindest aus erkenntnistheoretischer Sicht hat man das eigene Tun selten betrachtet. Die Künstler standen vor einer konkreten Aufgabe in der Gestaltung drin, in welcher Art auch immer. Diesem inneren oder äußeren Auftrag stellten sie einerseits sowohl ihr handwerkliches und/oder technisches Geschick gegenüber, als auch eine unbestimmte Empfindung für das gewählte Motiv. Aber woher kamen und kommen denn die Ideen, die Vorstellungen und ganz allgemein, die Kräfte, dieses oder jenes Motiv zu wählen, diesen oder jenen Stil?

Kunstentwicklung der letzten Jahrzehnte

Expressionismus, Kandinsky

Dass nun in jüngerer Zeit auch das Motiv selbst in Frage gestellt wurde war sozusagen eine Errungenschaft der letzten etwa 100 Jahre. Das gegenständliche Vorstellungsvermögen sollte dabei in den Hintergrund rücken, um dem eigenen emotionalen Aspekt mehr Raum zu geben, auch ohne konkretes Motiv.

Auf diese Weise entstand die „abstrakte Kunst“, wobei der Gegenstand einem farblichen und/oder formalen Geschehen Platz machte (siehe Bild von Kandinsky). Hierbei stützte man sich gewissermaßen nur noch auf ein rein seelisches Erfahrungsfeld. Die Frage, worauf sich nun dieses „Seelische“ (dahinter) bezog, wurde kaum gestellt, „es“ ergab sich einfach und spontan. Viel mehr stand der Effekt im Vordergrund. Dieses instinktive Vorgehen öffnete Tür und Tor für subliminale Prozesse, die unerkannt aus dem Hintergrund hineinwirken konnten. Dies machte auch Kräften Platz, deren Kontrolle man ausgeliefert war.

Während man im Impressionismus (zumindest formal) noch den (relativen) Zusammenhang mit der äußeren, sinnlichen Welt behielt, die man versuchte in einem neuen Licht erscheinen zu lassen, so hat man diese Ebene im Expressionismus weitgehend verlassen, um vorwiegend den inneren (aber oft unerkannten) Emotionen Ausdruck zu verschaffen. Bei Letzterem stützte man sich auf Vorstellungen und konkrete Motive. Die Expression bezog sich im Wesentlichen auf die Farbgebung einer vereinfacht dargestellten Formenwelt.

Erst später vollzog sich der Schritt hin zum vollkommen abstrakten Bild, wo sowohl Formen wie auch Farben sich loslösten vom realen, sinnlichen Bezug. Die Intention ging also weg von Vorstellung und Motiv bis zum rein emotionalen Element eines seelischen Ausdrucks, jenseits des materiellen Bezugsrahmens. 

Mein eigener Weg

Als Kunstschaffender hatte ich diesen bestehenden und allseits bekannten Weg ebenfalls vollzogen, wobei mir selbst der expressive Ansatz immer nähergestanden hatte, als der impressionistische. Dabei rückte das äußere Motiv immer mehr in den Hintergrund, ohne jedoch ganz verschwinden zu wollen. Ich bemerkte auf diesem künstlerischen Weg eine große Gefahr in meiner persönlichen Entwicklung. Es vollzog sich ein Verlust jeglichen Haltes an der realen, äusseren Welt. Der innere Halt ging dabei ebenso verloren, wie der äussere. Diese Entwicklung bemerkte ich auch bei vielen anderen Künstlern, die mir nahestanden. Dieser Zustand war unangenehm, was sich aus der Selbstbeobachtung allmählich bald ergab.

Es musste etwas im Inneren gesucht werden, was den Verlust des äusseren Halts kompensieren, oder besser, ersetzen, oder noch besser, diesen durchdringen konnte! Durchdringen hiesse, dass man nicht aus der Vorstellung zu einem Motiv kommt, sondern umgekehrt, dass sich das Motiv von innen heraus „wie von selbst“ einstellt. Dies muss jedoch ohne den Verlust eines bewussten Gestaltens gelingen!

Bewusstes Schaffen

Es ging und geht mir also immer um das bewusste Schaffen, aber weniger von den Kräften des Verstandes geleitet, als vielmehr umfassender, das unmittelbare Empfinden mit einbezogen! Für die meisten Menschen gibt es eine solche (innere) Kraft nicht. Deshalb versuchen sie den äußeren Halt auf Biegen und Brechen aufrechtzuerhalten. Sie bleiben am Motiv, an der Vorstellung kleben und versuchen alles nur gefühlte gänzlich durch Technik und „Stil“ (was immer das auch sein mag), zu kompensieren. Das ist die eine Richtung. Die andere verlässt alles Denken, alles Vorstellen und wird in gewisser Weise „verrückt“, also weg gerückt, unbewusst. In dieser Weise verlieren sie sich im emotionalen Gewoge des „Auf und Ab“. Beide Bemühungen verlieren etwas Entscheidendes: sich Selbst, das Schaffen aus dem Ich heraus, dem Zentrum und Kern des Menschen.

Das Abgleiten kann also in zwei Richtungen geschehen. Und mit „Abgleiten“ ist in diesem Kontext nichts despektierliches gemeint, sondern ein natürliches Schwanken in einem Entwicklungsprozess. Dies zu durchschauen und stets wieder zu korrigieren, ist die schwierigste Aufgabe, die sich meinem künstlerischen Tun stellt. Dazu habe ich schon viele Bücher und Aufsätze geschrieben, will hier also nicht näher darauf eingehen.

Extreme erkennen und überwinden

Diese zwei Extreme möchte ich überwinden. Darum geht es mir. Es muss eine Brücke geschaffen werden vom Einen ins Andere. Darin besteht heute im Wesentlichen die Intention meines künstlerischen, wie auch jene des therapeutischen Schaffens mit künstlerischen Mitteln! Das Hin- und Her in diesem Suchen birgt viele Gefahren. Die Vorstellungen der materiellen Welt möchten sich zwar stets hinwenden zu deren spirituellem Hintergrund, aber es bleiben eben immer noch Vorstellungen! Die Tendenz, dass plötzlich „Engelwesen“ oder engelartige Gebilde oder andere Lichterscheinungen erscheinen, die aber auch aus einer blossen Vorstellung und nicht dem unmittelbaren Erleben entspringen, sind dieser Verirrung geschuldet! Vorstellungen bleiben Vorstellungen und damit immer nur indirekte Impulse einer inneren, zentralen Kraft, die sich den Weg nur über den Verstand suchen will. Sie haben nichts zu tun mit bewusst aus Imagination, Inspiration oder gar Intuition heraus Erlebtem!

Fazit

Deshalb ist es mir außerordentlich wichtig, dass ich diesen zentralen „Punkt“, diese Kraft in mir finde, die mich aufrecht erhält, auch dann, wenn nichts Äußeres mich trägt. Mich aber auch gleichzeitig aufrecht erhält, wenn ich mich einseitig im Verstand wie in den Gefühlen verliere!

Ganz konkret versuche ich seit Jahrzehnten im bildhauerischen wie im malerischen Schaffen während des ganzen Prozesses der Formentstehung diese wache Präsenz aufrecht zu erhalten, die das Tun begleitet. Je mehr Klarheit in Form und Fläche entsteht, umso mehr kämpft man in solchen Momenten gegen die andere Seite, jene die von den Augen her kommt und ständig gewisse Bezüge und reale Formen sucht, die „etwas“ darstellen, an denen man sich festhalten kann. Man tendiert dann dazu, Anlehnungen an konkrete Motive zu realisieren. Man drängt dahin, das noch Schleierhafte in Gestalten und Motive festlegen zu wollen! Sich hier zurückzuhalten ist nicht einfach! Es möchte (oft auch vom Betrachter her, damit das Bild „verstanden“ wird) stets etwas konkretes im Bild, in der Form „gesehen“ werden, um eben diesen äußeren Halt wiederzugewinnen. Hier beginnt eine Art Kampf im eigenen schöpferischen Gestalten. Eine Formbindung einerseits oder das Verschwimmen und Verlieren ins Leere, Gestaltlose andererseits.

Meinungsautomaten

Die meisten Menschen in meinem Umfeld, haben keine eigene Meinung, wenn es um grosse politische Themen geht. Wenn man mit ihnen spricht, hat man das Gefühl, mit einem Automaten zu sprechen, der nur die Nachrichten des Mainstreams wiedergibt. Die Argumente sind dünn. Geht man mehr in die Tiefe, haben sie keine weiteren Begründungen, um ihr Narrativ zu stützen. Selbst die mir wohlwollend gesinnten, driften dann ab in allgemeine Floskeln wie «Schwurbelei» oder «Verschwörungstheorie», als Kompensation der Ratlosigkeit. Es sind Verteidigungswerkzeuge, die ins Leben gerufen wurden, um solche Diskussionen ins Abseits zu steuern. Man hat bei vielen Menschen das Gefühl, mit einem Radioempfänger zu sprechen. Selbst wenn man selbst nicht informiert ist was aktuell gerade läuft, nach einem solchen Gespräch weiss man, was die Staatsmedien darüber berichten. Diese Menschen sind sich dieser Tatsache nicht bewusst. Sie glauben natürlich, das seien ihre eigenen Gedanken. Das Erkennen, woher all die Einflüsterungen kommen, ist sehr schwierig und braucht ein hohes Mass an Selbstreflexion. Das wurde in anderen Artikeln eingehend thematisiert. Es ist schwierig, solche Gesprächspartner in wirkliche, tiefere Diskussionen zu verwickeln. Mit einem Radioempfänger lässt es sich nicht streiten!

Noch vor zehn Jahren war dies anders
Immerhin gab es damals, soweit ich mich erinnern kann, bei den meisten Themen immer mindestens zwei Meinungen. Es gab in jeder Sache, in den meisten Ländern noch so etwas, wie eine wirkliche Opposition. Dies scheint heute nicht mehr der Fall zu sein. Wer nicht Links ist, hat keine Lebensberechtigung. Die Staatsmeinung wird in den wichtigen globalen Themen reduziert auf eine einzige Meinung, nämlich die «richtige». Und die Richtige ist jene der Staatsmacht und einer globalen politischen Korrektheit. Die Oppositionen, oder das, was sich im entfernten noch so nennen könnte, passt sich oft dieser einen Meinung mehr oder weniger an. Oder wenn sie sich dagegenstellt, dann wird sie von den Medien und vom «Wahrheitsministerium» denunziert, schlecht geredet oder, tendenziell immer häufiger, sogar verboten.

Das selbstständige Denken ist anstrengend
Für die meisten Menschen ist es einfacher, die Informationen, wie in einem Trichter zu sammeln und dann ungefiltert wiederzugeben. Kritik am Staat und an der Politik, wie ich sie von linker Seite in den Siebzigern noch kannte, scheint mehr und mehr zu verstummen. Kritik wird als staatsfeindlich gesehen. Dabei wäre sie, wohl verstanden, ein gutes Instrument zur Regulierung von Übergriffen oder Fehlentwicklungen. Es kommt dabei nicht auf die Objektivität des Inhaltes an, sondern auf den Dialog, aus dem heraus die Dinge erst ins rechte Licht gerückt werden können. Eine solche Gesprächskultur müsste vom Staat erwünscht, ja sogar willkommen sein! Die Politiker sind vom Volk gewählte Diener und Verwalter des Volksvermögens. Es sind nicht die Besitzer!

Die Manipulation ist zu einem Herrschaftsinstrument geworden
Es werden Prämissen aufgestellt und so oft wiederholt, bis sie sich in die Köpfe der Bürger eingefressen haben. Dies geschieht visuell, auditiv oder über das geschriebene Wort. Durch die Autonomie der Medien und deren Besitzverhältnisse, ist es möglich geworden, über Nachrichtenagenturen, solche Prämissen standhaft und resolut in alle Welt zu tragen. Dazu kommt die Zensur als einem zweiten Instrument zur Beherrschung der Meinungshoheit. Die Konsumenten können sich zwar auch über das Internet anderweitig informieren. Diese Zugänge werden jedoch weitestgehend erschwert oder durch Zensur sogar verhindert.

Auf diese Weise werden Prämissen verbreitet
Beispiel: Prämisse eins «alle Russen sind böse» – Prämisse zwei «Putin ist ein Russe» – Und als Konklusion ein pseudologischer Schluss: «Also ist auch er böse und muss vernichtet werden». Die Menschen geben sich mit dieser Art von «Logik» zufrieden, ohne die Prämissen in Frage zu stellen. Dasselbe haben wir erlebt mit der Pandemie, die ja nach den Computer-Modellen enorm hohe Todeszahlen fordern sollte. Die Tests trugen dazu bei, die Kurven entsprechend gefährlich aussehen zu lassen, was ich ja bereits ausführlich in meinem Buch «Die grosse Entscheidung» ausgeführt habe. Angst und Panik wurde über drei Jahre hinweg geschürt, ohne dass eine Übersterblichkeit eingetreten wäre aufgrund des Virus.

Das alles sind die Auswirkungen eines übergeordneten Phänomens
Ohne die Manipulation der Massen könnten die Kräfte, die dahinterstehen, die Systemarchitekten gewissermassen, gar keine Erfolge erzielen. Sie erreichen ihre Ziele nur deswegen, weil das Bewusstsein der Massen manipulierbar (geworden?) ist. Dazu gibt es viele weitere Techniken, wie zum Beispiel das «Nudging», einer etwas abgemilderten Variante einer grossen Manipulation. Darauf soll aber in einem anderen Beitrag näher eingegangen werden.

Unsere „Vorstellungskonserven“

Ein Blick in die Tiefen unserer Seele

Abgeleitet von den obigen Gedanken, möchte ich ein wenig tiefer in diese Vorstellungswelten eintauchen. Ich stelle die Frage: In welchen Situationen stösst du in der Kommunikation auf Widerstand? Es wird immer dann der Fall sein, wenn sich die eigenen Vorstellungen denen des Gesprächspartners widersprechen. Gibt es eine andere Situation des Widerstandes? Ja, jener mit dir selbst! Und wie oft am Tag ist «Kommunikationswiderstand» bei dir der Fall? Zähle einmal die Situationen auf! Wir haben Mühe damit, dies zu erkennen, weil wir das immer wieder vergessen? Ich habe es versucht. Und das erste Mal hat es auch geklappt. Aber im Laufe des Tages nimmt die Wachheit ab und ich vergesse mich im Gespräch mit anderen. Wenn du dich nicht vergessen würdest, dann könntest du so Vieles entdecken! Erstens würdest du erfahren, dass es sehr viele solche Situationen geben wird in deinem Alltag! Da steht etwas in der Zeitung, was dir nicht gefällt: Widerstand, innere Ablehnung oder sogar Empörung sind die Folge. Ein Freund trifft auf dich. Was er erzählt kannst du nicht teilen, etwas bäumt sich in dir auf dabei: Widerstand, Ablehnung. Am Abend mit deiner Partnerin. Eine, zwei, drei … viele Situationen? Kein Konsens, sondern Widerstand und Ablehnung. Vielleicht bist du beleidigt, Streit, Aggressionen werden entstehen? Dann Fernsehabend: Politiker treten auf, erzählen dir von diesem und jenem: Du teilst die Meinung nicht: Widerstand, Ablehnung, Empörung. Deine Mannschaft verliert im Fussball. Das ist nur deswegen schlimm, weil du die Vorstellung hast, sie müssen gewinnen. Alles «Kopfsache», wie man so schön sagt.

Viele solche Erlebnisse prägen unsere Tage. Wer könnte nicht davon berichten! Nur achten wir nicht darauf. Wir reagieren nur. Und mit zunehmendem Alter wird es oft noch schlimmer. Immer mehr Dinge ärgern dich, weil deine Vorstellungen in der Aussenwelt anstossen. Sicher, es gibt auch Konsens, Einigkeit. Es gibt immer Gesinnungsgenossen in unserem Leben! Mit denen trifft man sich, tauscht sich gerne aus, weil man weiss, dass man nicht so oft auf Widerstand stösst: Friede, Freude, Eierkuchen … oder ein Gläschen Wein. Also tun wir uns nur noch mit unseren engsten Freunden zusammen, mit denen, die uns ähnlich gesonnen sind, die die gleiche Sprache sprechen, die gleichen, oder zumindest ähnliche Gedanken haben, jedenfalls in den entscheidenden Fragen unseres Lebenskonzeptes. Ein bisschen gefährlich ist das allerdings schon. Stell dir vor, du bewegst keine neuen Gedanken mehr. Du konservierst alles, was du bisher gelernt hast und wovon du dir eine Meinung gebildet hast: du bist «konservativ» gewissermassen. Jetzt wird alles Fremde zunehmend noch Fremder, andere Vorstellungen noch unzugänglicher. Die Jahre vergehen unbedacht. Die Gehirnstrukturen befestigen ihre vorgegebenen, vorprogrammierten Bahnen und fixieren das Gedankengut per Absolutum.

Was bleibt dir nun? Nur noch die Gleichgesinnten! Aber auch die werden immer weniger, weil in irgendeinem Punkt auch bei ihnen langsam die Einigkeit zu schrumpfen beginnt, oder sie dir wegsterben. Einer nach dem anderen passt dir nicht mehr, oder er verlässt dich. Bald hast du nur noch ganz wenige, die dir die Treue halten. Ein kleiner, «verschworener Haufen» wird das sein. Und bald bist du alleine, einsam, gefangen in einem Gefängnis deiner «Privatvorstellung». Du bist Gefangener in einer Glocke, die du dir selber erschaffen hast. Ein Leben lang hast du sie geschaffen, nach und nach, immer ein bisschen mehr. Niemand wird dich mehr verstehen, nicht einmal deine Parteigenossen und Genossinnen, deine Freunde und Bekannten oder sogar deine Frau, Freundin, dein Mann, dein Freund, deine Kinder. Du bist alleine mit dir und all deinen konservierten Vorstellungen, die doch die richtigen sein müssen! Aber die ganze Welt versteht dich nicht mehr! Warum sieht die Welt nicht, dass ich doch recht habe?! So denken alle im Laufe der Zeit, wenn nicht … ja wenn nicht etwas entscheidendes in unserem Leben passiert!

Und alle meinen, recht zu haben. Jeder schafft seine eigene moralische Welt, die aus den Vorstellungen seines bisherigen Lebens erzeugt wurde. Bis – ja, bis man endlich sich selbst entdeckt! Der Weltenlauf beginnt von vorne. Zunächst beginnst du zu zweifeln. Wer oder Was in mir stellt etwas vor, hat «Vorstellungen» spricht nach, hört, liest, sieht? Bin ich es selbst, oder ein Anderer in mir? Man entwickelt die Empfindung dafür, dass ein Anderer in uns spricht, liest, hört. Man erwacht und denkt: Was, das habe ich gedacht, ich gefühlt oder ich getan? Ich kann es nicht glauben! Es sind die ersten Gehversuche in einer anderen Hülle. Und die Frage wird fühlbar: wer ist dieser Jemand, der das beobachten kann? Wer bin Ich? Das ist das erste Erwachen in einer anderen Welt, auch wenn man ständig wieder in die andere hineinschläft und weiterhin ein Gefangener bleibt. Etwas wird sich ändern. Es ist ein kleiner Tod. Ein Aussersichstehen. Man erblickt ein Wesen, mit dem man sich vollkommen identifiziert hat. Es ist der erste Blick auf einen Lichtspalt in seinem Gefängnis. In Platos Höhle …

Vom Wesen der Heilung

Heilung

„Heilsam ist nur, wenn in der Menschenseele sich spiegelt die ganze Gemeinschaft und in der Gemeinschaft lebet der Einzelseele Kraft.“

Dieser Spruch Rudolf Steiners wird gebetsmühlenartig in tausenden von anthroposophischen Institutionen in der ganzen Welt, an vielen Sitzungen, Arbeitsgruppen usw. gelesen. Wie viel darin steckt, wird sich kaum jemand bewusst, der nicht in der Lage ist, die volle Wirksamkeit dieser Aussage daraus herauszulesen. Betreten steht man davor. Dabei geht es wohl um etwas Wesentliches, wenn nicht um das Wesentlichste der anthroposophischen Geisteswissenschaft.

Heilen als innerer Impuls

Die Ausschliesslichkeit, mit der Rudolf Steiner dieses „nur“ hinstellt, ist es, was betroffen macht. Heilsam ist also etwas NUR dann, wenn in der Menschenseele sich spiegelt die ganze Gemeinschaft. Was ist denn dieses Spiegeln? Was spiegelt sich? Doch nur die Wahrheit, die absolute Wahrheit! Oft kommt sie verzerrt daher, zum Beispiel, wenn sich etwas im welligen, gekräuselten Wasser spiegelt. Aber dennoch ist es NUR das, was schon IST, was sich spiegelt. Dass es gewellt oder gekräuselt erscheint auf der Wasseroberfläche liegt nicht am sich spiegelnden Objekt, sondern am Empfänger, dem Abbildenden sozusagen.

Übertragen auf die Gemeinschaft kann man gewiss sagen, es ist die Wahrheit dieser Gemeinschaft, die sich im Einzelnen spiegeln soll. Die Wahrheit ist das All Eine, etwas Übergeordnetes, nenne man es „Gott“ oder anders. Es geht also um das Göttliche im Menschen. Dieses Göttliche lebt in jedem Menschen gleichermassen als Wahrheit. Und diese Wahrheit spiegelt sich in jedem Einzelnen. Sie ist sowohl in meinem Mitmenschen, als auch in mir gleichermassen wirksam.

Zugang zur inneren Quelle

Nur der Zugang zu dieser Quelle des All Einen wirkt heilsam. Dieses Ausschliessliche, was Rudolf Steiner in dem kleinen NUR betont – denn es ist sicher kein Zufall oder eine unbeabsichtigte Floskel, die sich darin ausdrückt – ist sehr bedeutsam. Es zeigt eben auch, wo Heilung NICHT stattfinden kann! Überall wo diese Quelle des All Einen nicht Zugriff hat in die Taten der Menschen, findet KEINE Heilung statt. Was findet denn dort statt? Und wie merkt man, dass man den Zugriff hat oder nicht? Dies sind die wichtigsten Fragen für die Therapie, für die Therapeuten, aber auch für alle, die sich mit Menschen beschäftigen und den Anspruch haben, heilen zu wollen.

Alles Wissen, alle Erfahrung, die wir im Leben anhäufen und ansammeln, bilden so etwas wie einen kleinen Kosmos, der sich dem Grossen gegenüberstellt. Es ist ein individueller Kosmos. Es ist der kleine Himmel ähnlich dem Himmel, der ein Kücken hat, wenn es in seinem Ei drin sitzt. Dieser Himmel ist nichts anderes, als die Eischale! Aber das Kücken denkt (wenn es denken könnte), das ist meine Welt! Das ist alles, was es gibt. Erst in dem Moment, wo es diese Schale durchbricht, sieht es eine neue, andere Welt.

Lernprozesse und Wissen

In einem ähnlichen Zustand befindet sich der normale Alltagsmensch. Nur dass diese „Schale“ nicht so offensichtlich ist. Sie ist gewoben aus eben diesen Erfahrungen und dem daraus resultierenden Wissen. Dieses Wissen ist sehr wichtig! Das kleine Kind erfährt irgendwann, dass eine Herdplatte auch dann heiss sein kann, wenn man es von aussen nicht sieht. Durch die Erfahrung des Berührens wird diese Tatsache überdeutlich und eindrücklich erlebbar. Dieses Kind wird es nicht ein zweites Mal tun. Es hat aus der Erfahrung gelernt. Das Lernen ist verbunden mit Gedanken, die man sich im Nachhinein über die erlebte Situation gemacht hat. Wenn nun eine neue, ähnliche Situation auftritt, wird es vielleicht die Hand erst ein paar Centimeter über der Platte halten, um langsam abzuspüren, ob die Platte noch heiss ist oder nicht. Das Kind wird aus diesem Lernprozess heraus vorsichtiger. Der Gipfel dieser Art von Wissen ist die Weisheit, die aus Klugheit resultiert.

Und so gibt es selbstverständlich in einem Menschenleben Millionen von Eindrücke, die man „lernt“. Das Erfahrene wird konserviert und „abgespeichert“. In manchen Fällen ist das gut, in anderen weniger gut. Man stelle sich vor, wie wir Autofahren würden, wenn wir uns jedes Mal überlegen müssten, wo das Gaspedal, wo die Kupplung und wo die Bremse ist! Das wäre natürlich fatal! Die Handlungen werden durch Wiederholung automatisiert oder besser „einverleibt“. Dies geschieht im „Ätherleib“.

Spiegel in der Gemeinschaft

Was also zu unserem Besten dient, indem es zur Routine wird, ist andererseits auch eine Klippe, eine Hürde. Durch das Konservieren, schaffen wir einen Mantel um uns herum, der die Erfahrungen ihrer Reinheit entzieht. Und dies wiederum bewirkt, dass wir uns im Laufe eines Lebens wie ein Kokon einhüllen in unsere eigene Welt, die Welt unserer persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse. Daraus bilden wir unser Gedankenleben, bilden unsere Vorstellungen. Danach richten sich all unsere Gefühle und Handlungen. Das Fatale daran ist nicht, DASS es so ist, sondern, dass wir es nicht bemerken! Das ist das Fatale, dass wir es nicht bemerken! Wir identifizieren uns immer stärker mit diesem Kokon und meinen, das seien WIR, das sei „ICH“. Aber dieses Ich ist nicht ein reines Ich, es ist ein personifiziertes, individualisiertes Ich. Es ist ein Ich, was sich eben NICHT spiegelt in der Gemeinschaft! Denn in dieser Gemeinschaft hat jeder in dieser Beziehung ein anderes Ich! Keiner von uns ist gleich. Das ist eine Binsenwahrheit, denn jeder wird es bestätigt finden.

Befreiung aus dem Kokon

Es ist äußerst schwierig, sich aus diesem Kokon zu befreien, weil er, ähnlich dem Kücken, meint, dies sei die ganze Welt. Ich bin die ganze Welt, so meint im Grunde jeder. Auch wenn er es niemals zugeben würde, verhalten tut er sich doch meistens so. Und man wird gereizt, wenn der andere eine andere Meinung hat. Achten Sie gerade JETZT darauf, wie Sie auf diese Gedanken reagieren! – Halten Sie inne. Schauen Sie für einmal nicht auf meine Gedanken, die ich hier entwickle, sondern auf Ihre Reaktion darauf, gerade in dem Moment, wo Sie dies lesen! Vielleicht haben Sie das eine oder andere Mal den Kopf geschüttelt und waren gar nicht meiner Meinung?

Sehen Sie, das „meine“ ich. Wir leben nur noch in einer abgeschlossenen Welt unserer persönlichen Meinungen. Die Gedanken, die in uns kreisen, beziehen sich zum grössten Teil auf unsere persönliche Erfahrungswelt. Und aus DIESER Welt heraus, ist HEILUNG unmöglich!

Heilsam ist nur…

Heilsam ist nur, wenn in der Menschenseele sich spiegelt die ganze Gemeinschaft (also die GANZE Wahrheit) und in der Gemeinschaft lebet der Einzelseele Kraft. Letzteres tut sie nur, wenn ersteres der Fall ist, das heisst, wenn es ihr gelingt, aus der persönlichen Verhaftung herauszutreten, auf Distanz zu diesem „kleinen Ich“ zu gehen. Dies aber ist das Wesen der „Selbstbeobachtung“! In ihr ERKENNT man, welcher Herren Diener man gerade ist. Denn hinter dieser Welt stecken andere „Wesen“, die uns antreiben. Sie haben freie Bahn, solange wir sie nicht erkennen. Im wahren Ich bin Ich erst „Wahrheit und Leben“. Im kleinen Ich bin ich das nicht. Das kleine Ich kann nicht „heilen“! Denn es erreicht die andere Seele nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar. Es ist gefangen in der eigenen Identität. Heilen kann es nur sich selbst und zwar in dem Moment, wo es Selbst bewusst wird!

Konsequenz Selbsterkenntnis

Konsequenz dieser Gedanken ist, dass wir nur heilsam wirken können, wenn wir uns entwickeln. Diese Entwicklung hat nur EIN Ziel. Es ist das Finden des All Einen in uns! Der Weg geht über einen Schulungsweg, der von der Imagination über die Inspiration zu der Intuition reicht. Im letzteren schaffen wir erst den Raum, der Heilung bewirkt. Das schliesst alles bosse Wissen aus. Wissen ist IMMER sekundär. Wer das Wissen zum Primaten erhebt, verleugnet sich selbst. Wissen ist ein Trittbrett der Seele, ein Entwicklungshelfer. Es kann zur wahren Weisheit führen im Akt der Selbsterkenntnis. Wieviele Philosophen, Weise, Initiierte haben dies schon gesagt und geschrieben! Selbst dies hat man immer nur als Wissen aufgenommen und so weiter vermittelt, ohne die Tat! Es steht als Wissen neben anderem Wissen und man ist froh es manchmal zitieren zu dürfen.

Ein Ruck muss durch die Gesellschaft gehen! Bis wir zu dieser Gemeinschaft heranreifen, in der sich das All Eine spiegelt. Aber TUN können wir es jederzeit, in jedem Augenblick. Denn passieren tut es immer nur im JETZT.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… – Einblicke in die Kunsttherapie… ein Resume nach 25 Jahren…

Intuition und Selbstbeobachtung

intuitionIm Alltag orientieren wir uns gewöhnlich an den sinnlich wahrnehmbaren Objekten der Welt und verarbeiten sie. Wir erleben diese Dinge als getrennt von der Außenwelt, in unserem Inneren sich vollziehende Tätigkeit. Solange wir unser orientiert sein nur danach ausrichten, entsteht alles, was aus einer solchen Trennung immer wieder geschehen muss: Das kann Zweifel, Zwist, Zwiespalt und Schmerz, eine Entzweiung meiner subjektiven Welt mit dem wahrgenommenen Inhalt sein. Es kann aber auch ein Gleichklang, eine Einstimmung, Einverständnis zum Objekt entstehen. Je nachdem, wie unsere Beziehung dazu ist.

Dennoch schließt uns das subjektive Erleben von unsrer Außenwelt ab, immer mit der Hoffnung auf ein adäquates Erleben, welches sich durch Zustimmung ähnlich denkender Mensch kundtut. Die Realität ist das Trennende, weil sich unsere eigenen Vorstellungen dieser Außenwelt entgegenstellen oder zumindest relativ gegenüberstellen. Man wird versuchen das Trennende – und damit den Schmerz – zu überwinden. Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist grundsätzlich die Suche nach einer alles umfassenden Einheit. Manche nennen sie Gott, andere Geist, wieder andere sonst irgendwie.

Solange sich das Denken immer wieder selbstzweifelnd an der bloßen äußeren Wahrnehmung orientiert, werden sich keine solchen Einheitserfahrungen einstellen. Das egoistische „ichlein“ wird eine solche Einheit mit Vehemenz bestreiten, weil sie sein Bewusstsein nicht berührt. Die linke Hirnhälfte behauptet sich gegenüber der rechten. Die Brücke zu einer neuen Erkenntnis liegt in der Überwindung des subjektgebundenen Denkens. Dieses subjektgebundene Denken ist jene Kraft, die von den meisten spirituell orientierten Menschen immer wieder (und dies wohl zu Recht) abgewertet wird. Das Erleben der Denktätigkeit in einem abgeschlossenen persönlichen Innenraum behindert die Erfahrung anderer, neuer Erkenntnisräume. Ein solcher «Raum» wird dann erschlossen, wenn wir uns den Wahrnehmungen und Erlebnissen gegenüber aufschließen können. Dafür brauchen wir aber einen «neuen Blick», welcher sich aus der Anschauung heraus den Rätseln der Welt gegenüberstellt. Aber was heißt das? An einem Beispiel aus meiner Praxis mit künstlerischen Prozessen wird dies erfahrbar.

Wenn Sie eine Skulptur betrachten, kommen Ihnen bestimmte Wahrnehmungen entgegen. Sie sehen zunächst alles einfache, was mit dem Material zusammenhängt. Sie sehen, dass es sich meinetwegen um Granit handelt, und Sie sehen solche Dinge, wie die roh behauene Oberfläche oder die Konsistenz des Steines, seine Härte und seine Kompaktheit. Sie entdecken Verästelungen und Maserungen in der Steinoberfläche und finden sie vielleicht schön. Sie sehen die Farbe und sonst noch einige Attribute, deren Begriffe Ihnen aus dem Alltag bekannt sind. Sie sind froh «alles wieder zu erkennen»! Damit haben Sie sich einen ersten Blick für das Kunstwerk erschlossen, der Sie erfüllt, sind aber dem Wesentlichen an der Form noch nicht begegnet!
Das Objekt steht Ihnen gegenüber (im Außen) und Sie haben entsprechende Begriffe, die Sie ihm entgegenstellen (innen). Damit geben sich die meisten Menschen zufrieden. Und am Schluss, wenn sie die Galerie verlassen haben und man Sie fragt, wie ihnen die Skulpturen gefallen haben, wissen Sie etwa gleichviel wie vorher. Sie wurden von trennenden Begriffen geleitet, die Ihnen zum Vornherein bekannt waren. Diese Begriffe sind Produkte der eigenen Biografie. Sie haben sie in all den Jahren gebildet und sich damit verbunden. Sie bilden letztlich das, was wir unsere Persönlichkeit nennen.

Wenn Sie auf diese Skulptur eingehen wollen, müssen Sie zunächst alle bekannten Begriffe mit grosser Offenheit hinter sich lassen.
Die Formen zeigen sich dann bald in einem anderen Licht und stellen sich uns wesenhaft gegenüber. Hier liegt der Schlüssel einer neuen Erfahrung, die erkannt werden will. Wir erkennen das Lebendige, die Gesten und Gebärden darin. Wir erkennen vielleicht eine aufrichtende Kraft oder wir entdecken etwas Schwerfälliges, eine gewisse Dumpfheit.
Genauso gut könnten wir aber etwas Wärmendes und Lichthaftes, Raumes- und Stoffkräfte in der Form erleben. Mit anderen Worten: Die Form beginnt mit Ihnen zu «sprechen», sie wird lebendig und sie bekommt einen wesenhaften Charakter. Es findet ein lebendiger Austausch zwischen dem Objekt und Ihnen statt. Daraus ergeben sich vielleicht Aufschlüsse eines Typus, welcher sich ähnlich in anderen Formen wieder finden lässt, uns eine neue Qualität erschließt, die sich physisch-sinnlich nicht festmachen lässt.

Begrifflichkeit verwandelt sich in etwas organisch-bewegliches und entfernt sich vom persönlich-subjektiven Standpunkt. Solches Anschauen öffnet den «neuen Blick» und neue Erkenntnisfelder.
Subjekt und Objekt verschmelzen in einer anschauenden Urteilskraft. Sie kann Intuition genannt werden. Die Art des Schauens bestimmt den Inhalt der Erfahrung. Es gibt für die Intuition kein innen und kein außen, wie sie es für das intellektuelle Denken gibt. In der intuitiven Urteilskraft, die zugleich eine «anschauende» ist, fließen Innenwelt und Außenwelt in eins zusammen. Hier befinden Sie sich auf einer Ebene, die Ihnen das Erlebnis eines «All-Eins-Sein», mit einem neuen Gedankenraum nahe bringt. Sie erfahren ihn gewissermassen wie eine Art «Substanz», die um Sie herum lebt und dort erlebbar wird!

Sobald der «Gegenstand» der Betrachtung nicht mehr eine außenstehende, sichtbare (oder auch unsichtbare) Form ist, sondern WIR SELBST, fallen das Objekt und das Subjekt zusammen. Wir richten diese anschauende Urteilskraft auf uns selbst. Diese Form der Intuition erfahren wir durch Selbstbeobachtung. Dabei lösen wir das persönliche Individuum aus seiner Umgebung heraus und erkennen es in Geste, Haltung, Tätigkeit oder jeglicher «Form» des Ausdrucks als spezifische Individualität wieder. Die «Form» ist (in der Selbstbetrachtung) nicht als ein übergeordneter Typus erfahrbar, sondern wird ein Typus für sich, oder auch eine Gattung für sich: ein Individuum.

In dem Buch: «Grundlinien einer Erkenntnistheorie der goetheschen Weltanschauung» schreibt Rudolf Steiner folgendes zum psychologischen Erkennen, beziehungsweise zu einer wissenschaftlichen Methode der psychologischen Erkenntnis, auf die sich dieses Erlebnis bezieht:

„Was Intuition ist wird hier (…in der psychologischen Methode…) Selbstbetrachtung. Das ist bei der höchsten Form des Daseins sachlich auch notwendig. Das, was der Geist aus den Erscheinungen herauslesen kann, ist die höchste Form des Inhaltes, den er überhaupt gewinnen kann. Reflektiert er dann auf sich selbst, so muss er sich als die unmittelbare Manifestation dieser höchsten Form, als den Träger derselben selbst erkennen. Was der Geist als Einheit in der vielgestaltigen Wirklichkeit findet (…im Betrachten der organischen Natur…) das muss er in seiner Einzelheit als unmittelbares Dasein finden. Was er der Besonderheit als Allgemeines gegenüberstellt, das muss er seinem Individuum als dessen Wesen selbst zuerkennen. Man sieht, dass man eine wahrhafte Psychologie nur gewinnen kann, wenn man auf die Beschaffenheit des Geistes als eines Tätigen eingeht…“

Und weiter:
„…man hat in unserer Zeit (…er schreibt dies 1885!) an die Stelle dieser Methode eine andere setzen wollen, welche die Erscheinungen, in denen sich der Geist dar lebt, nicht diesen selbst, zum Gegenstande der Psychologie macht. Man glaubt, die einzelnen Äußerungen desselben ebenso in einen äußerlichen Zusammenhang bringen zu können, wie das bei den unorganischen Naturtatsachen geschieht. So will man eine „Seelenlehre ohne Seele“ begründen. Aus unseren Betrachtungen ergibt sich, dass man bei dieser Methode gerade das aus den Augen verliert, auf das es ankommt. Man sollte den Geist von seinen Äußerungen loslösen und auf ihn als Produzenten derselben zurückgehen. Man beschränkt sich auf die ersteren (…die Äußerungen…) und vergisst den letzteren (…Produzenten…). Man hat sich eben auch hier zu jenem… Standpunkte verleiten lassen, der die Methoden der Mechanik, Physik usw. auf alle Wissenschaften anwenden will.“

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Warum dieser Blog kein Renner wird

DatenkosmosEine selbstkritische Betrachtung…
Es gibt sehr viele Blogs, ich gebe es zu, und unendlich viele Informationen und Milliarden von Meinungen und Ansichten im virtuellen Datenkosmos des Internets. So manches ist massentauglich, anderes weniger, dieser Blog ist es sicher nicht! Und warum? Weil die Leute immer genau dort gepickst werden, wo es ihnen am meisten weh tut: bei sich selbst.

Nicht etwa, dass ich auf sie zeigen und ihnen meine Meinung ins Gesicht schleudern möchte, wie es viele andere tun; nein eben nicht! Ich stupse sie immer dort, wo es am meisten weh tut und stelle die ewig gleiche Frage nach den wirklichen inneren Motiven, die jeden/jede von Ihnen antreibt. Diese innersten Motive, die Beweggründe und die Triebfedern zu unserem Tun, denken und fühlen, sind die tiefsten und scheinbar unzugänglichsten und doch „offenbaren Geheimnisse“ unserer Persönlichkeit. Die Frage danach bringt immer das eigene Gewissen auf den Plan. Das ist sehr, sehr unangenehm. Lieber weicht man aus, als dass man sich mit sich selbst anlegen will. Es könnten ja Dinge aufgedeckt werden, die wir lieber gar nie wissen wollen, weil sie an unserer Selbstsicherheit und unserer Selbstgewissheit nagen und das Ego zerstören möchten.

Meine Aufgabe in diesem Blog ist es, penetrant auf diesen Lebens-Hintergrund jedes einzelnen Menschen, mit teilweise unangenehmen Folgen, hinzuweisen. Und warum tu ich das? Warum erzähle ich nicht Gechichten aus meinem eigenen Leben? Unrecht was mir geschehen ist, Unrecht, das auf der Welt passiert; von Kriegen und von den Bösen, die unsere Gesellschaft vernichten wollen, von dem großen Kapital und von den skrupellosen Finanzhaien, die über Leichen gehen, um ihre nie enden wollenden Gewinne einzufahren und damit ihre Macht ausweiten? Warum beklage ich mich nicht über die unseligen Pharma-Riesen, die immer wieder alte (und neue?) Krankheiten neu erfinden – um jeden Preis – weil sie davon (und nur davon) ihre satten Gewinne einfahren. Nebenbei gesagt: Warum sollten sie uns gesund machen wollen, wenn „gesund sein“ heißt, weniger Umsatz zu generieren? Oder ich könnte mich über all die dumpfen Gemüter ärgern, die einfach nicht checken wollen, was auf dieser Welt alles schief läuft und ich könnte sie bekehren wollen, um ihnen mein Rezept (eines von Millionen) zur Verbesserung der Welt zu predigen!

Oder warum schreibe ich nicht von der blöden Kuh am Postschalter, die mich wegen lumpiger 20 Gramm Mehrgewicht des Pakets wieder nach Hause schickte und die bereits bezahlte Frankierung zunichte machte. Oder ich könnte auch von den ätzenden Computererlebnissen erzählen, von dieser elendiglichen, unleidigen Kiste, die mich jeden Tag auf die Palme treibt, weil deren Innereien (die Chips) nicht das tun, was ich gerne möchte, oder zumindest nicht in der Zeit, die ich gerne hätte, um effizienter zu arbeiten und – eben – Zeit zu gewinnen. Zeit, die ich einst glaubte gewinnen zu können dank der hochheiligen digitalen Technikkuh, was aber einem radikalen Selbstbetrug und Denkfehler gleichkam. Verrat! Überall Verrat und Elend! Und dann diese endlose, Tinte saufenden Billigdrucker-Monster mit hochauflösender Technik, die das Schnäppchen zum Horror machen, weil man für das Verbrauchsmaterial bald einen Kredit aufnehmen muss! Nicht zu schweigen von all den Pennern, die mir tagtäglich den Vortritt im Verkehr abschneiden oder dumme Kommentare abgeben…

Sie sehen, es gäbe genug zu jammern. Dies alles wäre zudem ein gefundenes Fressen für die Seele der meisten Leserinnen und Leser, weil sie sich damit identifizieren könnten, weil ihnen vielleicht jeden Tag dasselbe oder ähnliches zustößt und weil die Klage etwas Entlastendes an sich hat. Weil sie dann selbst ihre unerhörten Geschichten weitergeben könnten, um damit so etwas wie Rechtfertigungs-Glücksgefühle aufzubauen. Wie geil ist das, wenn man „verstanden“ wird, wenn ein anderer Mensch das eigene Leid bestätigt und möglicherweise noch anheizt! Oder Sie könnten ihre Vernichtungsalven herunter leiern, um zu zeigen, wie falsch man mit diesen Aussagen doch liegt, wie wenig man doch begriffen habe und wie es „richtig“ zu sein hat. Das Gefecht wäre somit eröffnet. Und das kann große Befriedigung bringen.

Solche Gefühle bediene ich mit diesem Blog in der Tat nicht. Sie wären es, die erst Geld und Aufmerksamkeit bringen würden. Fragen Sie einen Journalisten. Das Gegenteil wird hier angeregt. Das Selbst-Betrachten. Es erfordert kompromisslose Ehrlichkeit sich selbst gegenüber. Das Motiv hat nie mit Rechtfertigung zu tun: „Aber der oder die sind doch die Schuldigen!?“, sondern mit dem anderen Teil der Geschichte, jenem, der mit mir selbst zu tun hat. Wer dies nicht begreift, der findet das alles möglicherweise bestenfalls laues Zeug. Man kann sich fragen, wozu das Ganze?

Ich bin mir sicher, dass diese Botschaft und die persönliche Arbeit jedes Einzelnen an sich selbst, die Welt massiv verbessern würde! Dass es keine Kriege, keinen Betrug und keine Missgunst, keine Eifersucht und keinen Hochmut mehr geben würde. Dass Aufrichtigkeit, Toleranz und Verständnis diese ewigen Schuldzuweisungen nach und nach ersetzen würden. Dass die sture Beharrlichkeit von religiösen Fanatiker und extremen Gruppierungen, die sich allmählich wieder den mittelalterlichen Praktiken annähert, durch Selbstreflexion ausgemerzt würde, vernichtet würde, in Staub und Asche zerfallen müsste.

Nicht viele wollen dies hören, nicht nur die religiösen Fanatiker nicht, die natürlich zuallerletzt. Aber wie steht es mit Ihnen? Sind Sie bereit? Wie viel Dogmatismus, Tradition, Konvention, wie viele Automatismen und Glaubenssätze (religiöse und materielle) leben noch in Ihnen? Die Fragen sind unangenehm und ich bezweifle, dass sich durch meine bescheidenen Beiträge damit etwas nachhaltig verändern wird, aber ich danke Ihnen von Herzen, dass Sie bis hierher gelesen haben… und vielleicht ein kleines Licht aufgegangen ist…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Verliebt

Brief an einen jungen Freund…

philippLieber Philipp

Du hast eine Trennung hinter dir! Gewiss, du hast schon sehr viele Trennungen in deinem jungen Leben erlebt! Ich weiß, du hast in deinen zwanzig Jahren viel Leid, Verlust und Enttäuschung erfahren müssen. Und jetzt wieder ein Verlust! Es ist der schwerste, den du bisher gehabt hast, sagst du. Deine erste große Liebe! Du hast sie im Internet auf einer Online-Plattform kennen gelernt…

Du hast deine Mutter früh verloren. Dein Vater interessierte sich nicht für dich. Dann kamst du früh zu deinen Großeltern, die einen (die anderen wollten dich auch nicht haben), zogst mit ihnen nach England. Eingelebt in eine neue Kultur, neue Menschen kennen gelernt. Dann kam wieder ein Tod: nach langer Krebskrankheit stirbt auch noch der Großvater. Wieder zurück nach Deutschland. Wieder komplette Neuorientierung, Wechsel, Verlust von Vertrautem.

Du sagst auch, du findest dich hässlich und fett. Niemand wollte dich in sein Herz schließen. Keine Freunde, keine Kameraden. Du vergräbst dich in die Play Station und frisst alles in dich hinein. Und nun kommt diese Frau in dein Leben! Über Monate hinweg hast du dich mit ihr virtuell ausgetauscht. Ihr habt zusammen gelacht, habt euch verstanden. Und dann, nach einigen Monaten habt ihr euch zum ersten Mal getroffen! Du hast dabei deine Jungfräulichkeit verloren. Du warst glücklich. Zum ersten Mal in deinem Leben warst du glücklich! Gingst zurück in deine Stadt.
Und dann hat sie dich einfach fallen gelassen wie ein Stück Abfall, hat nichts mehr von sich hören lassen, den Kontakt einfach abgebrochen. Aus, vorbei! Und tschüss!

Du hast keine Lust mehr zu leben, sagst du. Alles hätte keinen Sinn mehr. Es gibt für dich keine Perspektiven mehr, keinen Halt. Du hasst dich selbst. Zerbrochen, ein Scherbenhaufen dein Leben… wofür soll das alles gut sein, fragst du?

Und ich? Was sag ich dir jetzt, mein Freund? Soll ich sagen: Geh, kämpfe um diese Frau! Soll ich sagen, wird alles schon gut, nur Kopf hoch, mein Junge! Soll ich sagen: Nimm das doch alles nicht so ernst! Soll ich dir von meinen eigenen Geschichten und Enttäuschungen erzählen und dich trösten damit?
Nein, ich bin betroffen, erschüttert. Das ist alles.
Ein so junges Leben noch und schon so viel Leid, soviel Schmerz! Und dann kommen diese Gedanken in mir hoch. Ganz langsam kommen sie. Ich erinnere mich an eine Zeit in meinem eigenen Leben, als ich verliebt war! Es gab Zeiten, da hätte ich alles aufgegeben um nur noch mit dieser geliebten Frau zusammen zu sein! Also doch, sagts du jetzt vielleicht, jetzt kommt die Tröstergeschichte…
Nein, keine Tröstergeschichte. Betroffenheit verdammt!

Die erste Begegnung schon löste einen Schwarm von Gefühlen aus, diese berühmten „Schmetterlinge“ im Bauch, du weißt schon! Es war kein Platz mehr für andere Gefühle in meiner Brust. Es gab nur noch das Eine: dieses geheimnisvolle DU! DU? So frage ich mich heute. War es wirklich ein Gefühl für diesen Menschen, diesem DU gegenüber, welches da jetzt neben mir lag? Und mir doch so fremd war?

Heute muss ich ganz klar sagen: Nein, niemals! Vielmehr war es ein Bild! Mein BILD! Das Bild ist entstanden aus all den Vorstellungen und aus all den verdammt idealisierten Gedanken-gebäuden heraus, die ich diesem „Du“ entgegengebracht, „angeheftet“ und „aufgeklebt“ hatte. Der ganze Komplex dieses Gebäudes war aus Steinen meiner eigenen Vorstellungen aufgebaut worden und mit den Emotionen, die sich daraus bildeten zugepflastert. Es war ein in sich abgeschlossenes Gebilde, eine Form, die ich selbst produziert hatte und die nicht im Geringsten etwas mit dem idealisierten Abbild zu tun hatte! Nicht im Geringsten!

Und welchen Schmerz verursachte das darauf folgende „Erwachen“! Mein Gott! Nicht dass der geliebte Mensch deswegen schlechter gewesen wäre, als ich ihn mir ausgemalt hatte. Nein, in keiner Weise! Er war ganz einfach anders! Das Gegenteil ist wahrscheinlich der Fall!
Und in deinem Fall, lieber Philipp, der du diese Frau über das Internet kennengelernt hast, ist es noch ein bisschen schwieriger. Das ist deshalb so, weil du wirklich nur das von dieser Frau „gekannt“ hast, was sie dir schriftlich mitgeteilt hat. Vielleicht hattest du auch noch ein Foto von ihr. Aber du weißt ja, wie das so ist mit Fotos. Man versucht immer, die Position und die Auswahl so zu treffen, dass ein Bild möglichst vorteilhaft rüberkommt. Und Vorteil schaffen heißt nur auch wieder Illusionen schaffen. Diese Illusionen werden lange Zeit aufrechterhalten und mit anderem „Füllmaterial“ angereichert, eingepflastert.

Diese süße „rosarote Wolke“ wird immer mehr aufgeblasen. Du identifizierst dich schnell und gerne mit diesem inneren Bild. Wir kennen nur noch ein Ziel: Uns diese Wolke anzueignen, sie einzuverleiben, mit Haut und Haaren diesen Menschen an uns zu binden. Wir erleben vor allem auch immer wieder diese „Filmchen“ im Kopf, die den anderen Menschen mit uns verbinden und verkuppeln wollen. Aber nie wird uns ein Mensch gehören können, egal, ob wir verheiratet sind oder nicht. Wir haben keine Rechte auf andere Menschen, nie!

Es sind Phantasiebilder, die uns den Kopf verdrehen und von etwas Besitz ergreifen wollen, es haben möchten, für uns ganz alleine! Und der Verlust dieser Illusionen wird zu großen Schmerzen führen müssen! Du hast es erlebt, ich habe es erlebt, die meisten Menschen haben es schon erlebt und erleben es immer wieder, bis sie eines Tages vielleicht klüger werden. Die Identifikation und die seelische Verschmelzung mit dem geliebten Menschen macht uns vergessen, wer wir selbst im Innersten eigentlich sind. Und der Tod einer solchen Beziehung bedeutet unser eigener kleiner „Tod“! Aber wir haben gar nie diesen Menschen oder diese Frau geliebt, sondern immer nur ein irreales Phantombild davon, welches in dieser Weise gar nicht existiert hat. Es ist nur in unserem Kopf entstanden.

Und jetzt, was meinst du, was mit einem solchen Menschen passiert, wenn du ihm begegnest? Er fühlt sich überhaupt nicht angesprochen! Er fühlt sich nicht einmal verstanden, weil er nicht diesem von dir geschaffenen Bild entspricht, nie entsprechen kann! Er ist ein Fremder! Das ist gar keine Liebe. Denn Liebe ist reine Empathie. Wir lieben nur zu gerne unser Bild, aber nicht den nächsten.
Und der andere Mensch, diese Frau, auch sie hatte sehr wahrscheinlich ein solches Bild von dir erschaffen, welches gar nicht dir, Philipp, entsprach. Das ist die Ent-Täuschung. Die Täuschung des Bildes wird durch den realen Zustand entlarvt! Und das allein ist eigentlich schon ein Heilungsprozess, auch wenn er sehr schmerzt. Aber er ist auch gefährlich, solange man ihn nicht entlarvt!

Mach dir nun nicht auch wieder ein solches Bild von mir, wenn ich dir das alles schreibe! Es wird mit Sicherheit auch nicht der Realität entsprechen! Und du wirst wieder enttäuscht werden müssen! Sieh das als Warnung…
Und was nun? „Was fange ich, Philipp, also damit an?“ wirst du nun fragen. Und: „Auch wenn das alles stimmen mag, ich kann es ja doch nicht ändern! Es bleiben doch nur schöne Worte!“

Da will ich entschieden intervenieren und dir folgendes mit auf den Weg geben: Gewiss kannst du das ändern! Warum denn nicht? Wir müssen nur uns selbst besser kennen lernen, uns beobachten und uns selbst erkennen; erkennen, welcher Teil von uns solche Bilder produziert. Und wenn wir das bemerken, dann sind wir schon auf einem guten Weg, weil wir – nur schon durch die unmittelbare Selbstbeobachtung – uns von der Identifikation ein wenig lösen können.

Das ist ein Weg, ich weiß es, der lange dauern kann. Ich selbst hatte viele ähnliche Erlebnisse und Leiden- (schaften) wie du, bis ich diese eigentlich so banale Tatsache erkannte. Ich entdeckte plötzlich und völlig unspektakulär ein anderes Ich in mir! Einen Menschen, der hinter dieser Fassade, hinter diesem Schleier wohnt. Es war so unspektakulär, daß ich es fast übersehen hätte, weil ich spürte: Das bin Ich auch! Ich bin es! Verstehst du? Hier ist meine tiefe, unsterbliche und wirkliche Identität! Sie hat mich gerettet.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Wer spricht, wenn Sie Ich sagen?

Erster Teil

ICHWas ich Persönlichkeit nenne, ist ein Konglomerat von verschiedenen Teilpersönlichkeiten, welche in unterschiedlicher Art und Weise Verhaftungen schaffen, mein gebundenes Ich unbewusst leiten und führen. Diese Leitung oder Führung kann durchaus zu meinem Schutz geschehen, sie kann desgleichen destruktiv und zerstörerisch auf emotionale Prozesse wirken. Zweifel offenbart sich und wirkt. Um dies zu erkennen, ist ein waches Bewusstsein gefordert.

Aus der Selbstbeobachtung leite ich den Dialog mit den eigenen inneren Stimmen ein. Ich erblicke zum Beispiel hinter dem Zweifel Verletzungen. Es sind dies Verletzungen, welche eine tiefere Ursache haben und dazu geführt haben, dass ich sie mit dem Zweifel oder Abwertung überdecke. Solchen Verletzungen kann ich nun auf den Grund gehen.

Ein neues Energiefeld wird entdeckt. Es steht hinter dem Zweifel. Ablehnung, Diskriminierung oder mangelnde Wertschätzung, die ich in meiner Kindheit wiederholt erlebt habe, manifestieren sich vielleicht. Ich erkenne wiederholte Akte solcher Ablehnung und entdecke durch die Erkenntnis, dass ich mich mit ihnen anfreunden, versöhnen oder verbinden kann.

Aus diesem Vorgehen aktiver Selbsterkenntnis, entdecke ich neue Erlebnisräume, die sich unterschiedlich zeigen. Die erste Energieform steht im Vordergrund. Sie ist das “Seelenkleid” seines Trägers. Auf mein Beispiel angewendet, zeigt sich der zweifelnde Mensch in vielen Facetten und Formen als dieses Seelenkleid. So erscheint er nach außen: Ein Hadernder an anderen und an sich selbst. Er wird die Dinge im identifizierten Zustand immer abwerten oder ins Lächerliche ziehen, um ihnen Gewichtigkeit zu nehmen. Diese Abwertung verdeckt die eigentliche Ursache, zum Beispiel mangelnde Zuneigung, abschätzende, minderwertige Beurteilungen, die er in seiner Kindheit erlebt hat. Damit die Verletzungen, die sich daraus ergaben, nicht zerstörerisch wirken konnten, hat er sich eine Strategie, eine Masche zugelegt, diese Gefühle zu überdecken. Solche Strategien werden in der Transaktionsanalyse „Maschengefühle“ genannt.

Die Entdeckung der verborgenen Energieformen zeigt die tiefer liegenden psychischen Schichten. Im Voice Dialoge werden sie auch „disowned self“, verdräng-tes Selbst genannt. Was uns bei den meisten Menschen vordergründig entgegenkommt sind „primary self“, das Hauptselbst also. Mit „Persönlichkeit“, ist das ganze System gemeint, welches sich in Hauptselbst und verdräng-tem Selbst manifestiert.

Die vordergründig wirkenden Teilpersönlichkeiten jedes Menschen sind also strategische Selbste, die quasi den Umgang mit der Außenwelt sicherstellen. Sie bilden die „Übergangsschicht“ einer Innenwelt zu einer Außenwelt. Die „dicke Haut“ vielleicht, die uns vor Verletzungen schützt. Es kann aber ebenso gut die „dünne Haut“ sein, die zu wenig stark ist, um solche Verletzungen aufzuhalten.

Die dünne Haut kann aber auch ein Zeichen dafür sein, dass ein Hauptselbst aufgebrochen ist und dass sich die Wunde nach innen zu einem verdrängten Selbst geöffnet hat! Hauptselbste sind ähnlich den Narben. Es sind die Arrangements, die wir in uns bilden, um den Schmerz und den Druck von außen abzuhalten. Sie sind der Autopilot der Maschen, die uns eine gewisse Sicherheit und Halt im Leben geben können. Das ist durchaus wichtig und sinnvoll, damit die Verletzungen nicht zu stark werden. Es ist dennoch  mit Gefahren verbunden, nämlich dann, wenn sie sich verselbstständigen, wenn wir uns in ihnen verlieren und mit ihnen aufs Neue identifiziert sind.

Ein Hauptaspekt in der Erkenntnis der Teilselbste liegt nicht in ihnen selbst, sondern in der Projektion. Hier wird immer in der ersten Person gesprochen. Es wird vom Standpunkt der Selbstbeobachtung beurteilt. Das ist bereits der erlöste Zustand! In der Realität erweist es sich als viel komplexer. Durch die Abspaltung eigener Maschen, wie Aggression, Zweifel, Neid, Eifersucht und so weiter nach außen, trennen wir uns von jeglichem Bedürfnis nach Heilung. Wir suchen die Wut, den Zweifel nun in einer zweiten oder dritten Person, projizieren sie also nach außen. Ken Wilber[i] beschreibt es folgendermaßen:

„Bestimmte Ich-Themen können in meinem Bewusstsein hochkommen („Ich bin ärgerlich), werden weggeschoben oder verleugnet, und die mir entfremdeten Gefühle, Impulse oder Eigenschaften werden auf die andere Seite der Ich-Grenze verschoben: Ich empfinde sie jetzt als das Andere (Ich bin ein netter Mensch, ich bin nicht ärgerlich, aber ich weiß, dass jemand ärgerlich ist, und weil ich das nicht sein kann, muss er es sein!) Ist das erst einmal passiert, hört das Gefühl oder die Eigenschaft nicht auf zu existieren, aber das gehört nicht mehr zu mir. Diese weggeschobenen Gefühle oder Eigenschaften können dann als schmerzliche und verblüffende, neurotische Symptome auftauchen – als Schattenelemente in meinem eigenen Gewahrsein.“

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Es will Ich werden

Die Einsicht in die eigene Persönlichkeitsstruktur ist eine der schwierigsten Aufgaben, die  wir uns stellen können. Die intellektuelle Analyse hilft da nur bedingt weiter. Selbst wenn ich in der Lage bin, gewisse Eigenheiten zu durchschauen, habe ich keine Veränderungen vorgenommen. Umwandlungen entstehen nicht durch Analyse, sondern durch Betroffenheit! Betroffenheit entsteht durch ein wirkliches in-den-Dingen-leben. Die lateinische Bezeichnung dafür heißt Interesse. Von Ich oder Es zu sprechen ist nur wesentlich für das Erleben. Für den Intellekt ist es irrelevant, ohne Bedeutung.

Vorstellungen, welche uns von solchen Erlebnissen trennen, bilden die Mauern dazwischen. Die Verhaftung mit ihnen stellt die größte Herausforderung dar. Und diese Verhaftung verdrängt etwas Anderes in uns.

Ermahnungen und Belehrungen, sind von geringem Nutzen. Bekehrungen sind kein guter Weg. Diese bringen etwas anderes mit sich, etwas, was sehr hinderlich ist auf dem Weg zu erlebter (Selbst-) Erkenntnis, nämlich: ein schlechtes Gewissen!

Durch Selbstbeobachtung erkennen wir die Persönlichkeit als etwas von unserem tieferen Kern verschiedenes. Viele Jahre verbringen wir damit, dieses Andere im Außen zu suchen. Wir urteilen, beurteilen, verurteilen, kritisieren oder verachten alles, was uns aus unserem persönlichen Umfeld in die Quere kommt. Wir steigen auf die Kanzeln der Gesellschaft und predigen der Welt, was darin alles schief läuft und wie sie richtig zu sein hat! Die „linke“ Partei tut dies mit derselben Überzeugung, wie die „rechte“. Wir beharren auf persönliche Rechte und ergreifen hinterlistige Methoden, um dieses Recht zu unseren Gunsten durchzusetzen. Und dabei meinen wir es ja nur gut mit unseren Mitmenschen und glauben, sie auf den rechten Pfad bringen zu müssen. Denn wir wissen es schließlich besser als jene.

Das alles tun wir lange, lange Zeit und wir leiden unendliche Leiden, sterben unendliche kleine Tode, weil es der oder die andere einfach nicht kapiert! Oder weil man uns selbst verkennt in unserer (vermeintlichen) Größe!

So vergehen Jahre oder gar Jahrzehnte unseres Lebens in der Meinung, nur Gutes tun zu wollen, bis wir schmachvoll entdecken, dass dieses Andere WIR SELBST sind!

Wir entdecken, dass wir jahrelang einen schmerzhaften Kampf gekämpft haben – gegen uns selbst! Was wir als Liebe bezeichnet haben, war nur eine egoistische Variante des Selbst. Was wir hassten, waren entäußerte Anteile unserer eigenen Persönlichkeit, denen wir Du oder Es sagen, aber Ich meinen.

Wir konnten sie nicht als unser Eigenes erkennen, weil wir mit ihnen aufs Innigste verbunden waren, ohne es zu wissen. Und dennoch haben wir sie erkannt, aber nur wenn sie von außen auf uns zukamen. Das Du bot uns gleichsam die Möglichkeit, auf den eigenen verdeckten Schlamm hinzublicken. Wir wollten „Es“ nicht wahrhaben. Wir verteidigten die Unversehrtheit und Reinheit unserer persönlichen Glaubensbekenntnisse aufs Schärfste und fühlten Stolz.

Und nun, da wir angefangen haben, diesen Seelenacker umzupflügen, zerbröckelt auf einmal unser Selbstbild. Es zerbricht in tausend Scherben und wir sterben tausende von kleinen Toden. Wir wollen auf einmal nicht mehr dieser Mensch sein, der wir waren. Wir wollen ihn vernichten, auslöschen, zertrümmern! Er ist unser größter Feind geworden. Er verkörpert alles, was wir früher draußen in der Welt verurteilt haben, als wir ihn noch nicht kannten. Er ist das Monster, welches wir dort draußen zu erblicken glaubten und welches wir mit aller Kraft vernichten wollten. Nun erkennen wir es: in uns selber.

Jetzt erst haben wir begonnen, dies zu erkennen!

Wenn wir den Anderen in uns entdeckt haben, verlieren wir in gewissem Sinn die Unschuld und damit die Unbefangenheit. Gleichzeitig gewinnen wir aber sehr viel: UNS SELBST – und damit mehr innere Ausgeglichenheit und Zufriedenheit im Leben.

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