Welcher Lehre soll ich folgen?

nirwanaBrief eines Freundes an mich zu Rudolf Steiner und seiner Lehre und der Versuch, eine Antwort geben…

„Lieber Urs, ich wollt dich immer schon was fragen, ganz schnell auf den Punkt gebracht: Ich stehe manchmal – positiv gemeint – etwas zwischen den Inspirationen, Welten und Gedanken eines R. Steiner und den eher ‚radikalen‘ östlichen Lehren der Verwirklichung des Athman, fern ab aller Gegensätze und weltlichen Bedingungen, Kulturbestrebungen usw. – (die Verwirklichung des ICH BIN u.a. – siehe z.B. auch Satsang-Lehre oder auf meiner blogseite den Artikel „Ich BIN“ usw). Siehst du eigentlich eine Brücke, evtl. einen neuen Weg für dich, zwischen Steiners Lehre und diesen Lehren? Steiner wies ja das Nirvanabestreben eher ab habe ich das Gefühl. An seine Stelle wies er den Christusimpuls, die Kultur, die Kunst und das Erleben und Aufzeigen der höheren Welten usw. Was wiederum für östliche Verhälnisse eher nur eine weitere Maya, ein weiteres Hindernis zur Erleuchtung darzustellen scheint (?)… Hast du dich damit schon beschäftigt oder gar diese Dinge textlich verfasst, z.B. auch den Widerspuch darin? Und – Welchen Weg schlägst du ein bzw. bist du eingeschlagen? Hast du eine Synthese all dessen hinbekommen oder war das noch nie eine große Frage für dich…Ich denke manchmal bei mir, dass da noch eine kleine Thomas-seele in mir lebt, die meint sich für etwas GANZ entscheiden zu müssen, es aber nicht kann oder will, eher vielleicht nach einem Mittelweg sucht für sich… Gerade bei den sehr konsequenten, östlichen Lehren befürchte ich u.a. in ein nebulöses Nirgendwo einzugehen, vor allem auch nach dem Tode…also das Ziel ist mir schon wichtig, wo denn letztlich die Reise hingeht und enden soll! Bei Steiners Mitteilungen, die ja wunderschön zur Seele sprechen und vieles Übersinnliche gut erklären, habe ich allerdings auch das Gefühl, man könne sich manchmal auch darin verlieren …“

S. B.

Versuch einer „Antwort“:

Lieber S.
Die Frage nach den westlichen und östlichen spirituellen Ausrichtungen hat schon viele Philosophen und Esoteriker beschäftigt. Dahinter steckt im Grunde immer dieselbe Frage, nämlich jene nach den verschiedenen weltanschaulichen und/oder konfessionellen Lehren und deren Nachfolge. Jede Frage, die in diese Richtung geht, hat grundsätzlich ein und dasselbe Problem: Sie geht davon aus, dass es eine objektive, alleinige Wahrheit und somit auch nur eine Lehre gibt, welche alle anderen Lehren ausschließt. Diese Haltung ist meines Erachtens ausgrenzend und absolutistisch. Sie führt in eine Sackgasse, weil der menschliche Standpunkt immer abgesondert und individuell ist, egal welchen Dogmen er anhängt. Es ist also ein Weg, der nicht über das subjektive des egoistischen Menschen hinausführt. Jede Anhängerschaft, welcher Religion sie auch angehören mag, ist egoistisch gefärbt, solange sie andere Sichtweisen ausgrenzt. Das ist meine feste Überzeugung. Denn was wir ¨Wahrheit¨ nennen, ist doch eine allesumfassende, universelle Kraft, die alles Lebendige integriert. Sie hat verschiedene Facetten, je nach dem, wie sie von einer Persönlichkeit „eingefärbt“ wird.
Welcher spirituellen Ausrichtung soll man sich nun anschließen? Ich denke, es spielt letztlich keine Rolle, welchen Weg man geht, wenn er sich am Lebendigen, sprich an der Quelle selbst, orientiert. Und das Lebendige ist doch das alles Umfassende, an dem wir Anteil haben? Insofern kann man sicher auch ¨falsche¨ Wege gehen. Solche ¨falschen¨oder zumindest ¨kritischen¨ Wege sind für mein Verständnis alle nur analytischen, intellektuellen und ausgrenzenden Modelle. Doch wenn man in die Welt schaut, dann findet man schnell, dass es fast ausschließlich diese Wege sind, die unser Leben bestimmen. Das fängt in der Wissenschaft an, geht über die Kunst, bis hin zu den Religionen. Die Welt ist voll von Abgrenzung! Alles wird analysiert, zerteilt, zerpflückt, abgesondert und somit der Einheit entzogen. Ich erachtet dies zwar für wichtig, aber nur im Sinne eines Zwischenschrittes als bewusstseinsbildender Akt.

Deshalb sind für mich Worte wie ¨falscher Weg¨, ¨Irrweg¨usw. immer problematisch, ja sogar despektierlich und verachtend. Die moderne Bewusstseinshaltung der „Zergliederung“ der Welt (z.B. durch die Wissenschaft), hat einen ganz tiefen Sinn: Sie weckt (etwas) in uns! Erst durch die Abgrenzung dem Anderen gegenüber, erfahre ich, wer ICH BIN! Das ist paradox! Aber auch der Tod ist paradox! So, wie das Leben unseren Körper verlässt, wenn der Tod eintritt, so verlassen wir den universellen Zusammenhang, wenn wir geboren werden. Denn dieses Leben, welches sich dort mit dem Körper verbindet, ist quasi an ihn gebunden. Auch das ist paradox, denn das Lebendige lässt sich niemals binden! Wenn wir sterben, dann stirbt nicht das Lebendige selbst, sondern, das Leben verlässt unseren Körper ganz einfach wieder, etwa so, wie wenn Wasser aus der Erde verdunstet. Deshalb kann man nicht sagen, das Wasser sei nicht mehr da. Es hat sich lediglich in einen anderen Aggregatszustand verwandelt.

So verwandelt sich das Leben und alles, was wir damit verbinden, auch in einen anderen Aggregatszustand nach unserem Tod. Weil wir aber das Lebendige an unseren Körper festbinden, festbinden müssen von der Geburt bis zum Tod, haben wir zwar Anteil an ihm, aber dieser Anteil individualisiert sich quasi in jeden Körper hinein. Das wiederum hängt mit unseren Erfahrungen zusammen, die wir von der Kindheit bis ins hohe Alter durchmachen. Sie prägen die physische Verfassung und werden in entsprechender Weise vom Lebendigen mit geformt.

Meines Erachtens ist es von großer Wichtigkeit, dass wir solange und so gut als möglich flexibel bleiben und uns nicht allzu sehr an fixe Methoden, Systeme und Dogmen anhaften. Aber das ist nicht die einzige Anhaftung, die wir erleben. Auch die besagten Erfahrungen und Erlebnisse prägen sich in unsere neuronalen Datenautobahnen ein und beginnen allmählich mit diesen individuellen Absonderungen. Das All-Eine, von dem die Mystiker und Esoteriker immer sprechen, ist nur partiell erfahrbar und nur in dem Masse, wie es uns gelingt, uns von den Verhaftungen und Fixierungen zu lösen! Hier hilft auch keine Lehre und keine vorgegebene Weltanschauung, denn solche bringen bestenfalls das Wissen eines möglichen Weges. Der Weg kann auch sehr unterschiedlich sein, das Ziel wird dasselbe bleiben: Die Lösung von Verhaftungen und damit die Bemühung, frei zu werden. Manche Menschen und Forscher bestreiten, dass dies überhaupt je möglich sein wird, wie z.B. Thomas Metzinger in seinem spannenden Buch ¨Der Ego-Tunnel¨. Wie weit wir die Frage der Freiheit beantworten können liegt letztlich in der Tat jedes Einzelnen, denn es führt sowieso kein Weg an dieser Tat vorbei. Die Lehre, das Dogma, auch dieser Text gehört dazu! – bringt noch keine persönliche Erfahrung, sondern nur individuelle Wege und Hinweise, Pflöcke auf dem persönlichen Pfad jedes Einzelnen.

Ich selber kann nur immer wieder – (auch wenn es vielleicht langsam langweilig wird) – darauf hinweisen, dass das Werkzeug, welches schließlich aus diesem Tunnel hinausführen kann oder könnte, die Selbst-Reflexion ist, man mag sie auch Selbstbeobachtung nennen. Sie ist ein Werkzeug, aber noch nicht die Erkenntnis bezw. Erfahrung selbst! Erst die Beobachtung führt zur Erkenntnis! In aller Bescheidenheit: ich habe darüber ein Buch geschrieben. Und auch wenn ich heute schon wieder vieles ganz anders beschreiben würde, so stehe ich nach wie vor zu der Kernaussage: ohne die Fähigkeit der Selbstreflexion sind wir nicht in der Lage, unser Bewusstsein zu erweitern, egal welcher spirituellen Lehre wir uns verpflichtet fühlen. Es sollte jetzt klar geworden sein, dass ich mich nicht zu sehr damit aufhalte, welcher Weg für mich persönlich nun der Richtige sein mag, sondern ich möchte vielmehr lernen, was denn das Wesentliche an diesem Weg ist. Wollen wir einfach mehr wissen, ¨was die Welt im Innersten zusammenhält¨, oder wollen wir es real erleben und erfahren? Sicher bringt nun das persönliche Erlebnis noch keine objektiven, für das wissenschaftliche Verständnis relevante Resultate, sie bleiben an meine Person gebunden und werden nach meiner Auffassung verwertet. So drängt sich nun schließlich die alles entscheidende Frage auf: Löst sich jenseits dieses ¨Ego-Tunnels¨ alles persönliche Bewusstsein auf, wie es im Buddhismus gelehrt wird, oder gibt es in diesem ¨All-Einen¨ weiterhin so etwas, wie ein individuelles Bewusstsein, was eher dem christlichen Verständnis entsprechen würde. Für mich persönlich gehört diese Frage zunächst ins Reich der Vermutungen und Spekulationen. So, wie ich im Hier und Jetzt bin, kann ich immer nur von meinem vorhandenen Bewusstsein ausgehen. Dabei führt mich ein innerer Trieb des ¨mich-weiter-entwickeln-wollens¨.

Bislang bin ich noch nie an einen Punkt gekommen, an dem ich sozusagen das Bewusstsein meiner Selbst verloren hätte, wenn ich vom Schlaf absehe. Wäre dies geschehen, so wäre ich also gewissermaßen in eine Ohnmacht oder Bewusstlosigkeit eingetreten – und trotzdem: es gäbe doch immer wieder eine Kraft, die mich in mein Gegenwartsbewusstsein zurückgeholt hätte und die Erinnerung an mich selbst aufrecht erhielte, wie das beim Aufwachen geschieht. An diese im Verborgenen wirkende Kraft kann ich sozusagen “glauben“, weil ich die Erfahrung von ihr immer wieder habe. Sie ist ein anderer vertrauter ¨Teil¨ in mir, welcher dennoch fest mit mir verbunden und verankert bleibt, selbst im Traum, im Schlaf und ich denke – auch vor der Geburt über den Tod hinaus schon vorhanden ist. Diese Kraft ist eng verbunden mit dem anfangs erlebten Lebendigen. Sie verbündet sich zwar mit meinem Körper, wirkt und lebt aber weit darüber hinaus. Das kann durchaus zu einer von allen Dogmen unabhängigen Erfahrung werden. Insofern steht mir persönlich der christliche Weg näher, denn dort wird dieses Erlebnis einer wirkenden Kraft mit dem Christusstrom in Verbindung gebracht. Dieses Erlebnis hat zwar keine persönlichen, von meinen Verhaftungen gefärbte Identität mehr. Dennoch verschmilzt mein ¨kleines, individuelles¨ Bewusstsein mit einem ¨großen, universellen¨ Bewusstsein. Damit bleibt meine bewusste Identität dennoch vorhanden und verbunden. Sie wird nicht “ausgelöscht¨ und ich kann mein “Glück” erfahren, was ja sonst – leider – nicht möglich wäre … Ich denke aber, um doch noch einmal auf Steiner zurückzukommen, dass dieser mit seiner Anthroposophie eben diesen (christlichen) Ansatz vertritt. Dass diese aber nicht eine neue und zusätzliche Lehre sein möchte, sondern ein absolut integrativer, erweiternder Ansatz, wo es nebst dem bloßen Verstehen und Erkennen, vor allem auch um die Übung und um das Erleben und um spirituelle Erfahrung geht. Dass dabei viele beim Ersteren stehen bleiben, liegt nicht an der Anthroposophie, sondern an jedem Einzelnen. Die Brücke zwischen dem westlichen und dem östlichen Weg liegt für mich nahe bei diesem Ansatz.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Wer spricht, wenn Sie Ich sagen?

Bin ich wirklich der, von dem ich meine, ich sei es?

Was meinst du denn, wer du bist? Manche Leute sagen, ich sei ein Christ oder ein Grüner? Bin ich es nun? Was bringt es mir und den anderen, wenn sie wissen, ob ich es bin oder nicht? Sie können sich dann besser ein „Bild“ von mir machen. Viele Leute werden sicherer, wenn sie „es“ wissen, weil sie mich schubladisieren können. Andere Schubladen sind vielleicht: ein Buddhist? Ein Katholik? Sagt man Ja, dann kommt: Aha, jetzt weiss ich, wer du bist! Jetzt kann ich dich „einordnen“! Jetzt bist du für mich einfacher zu fassen, einfacher erklärbar und ich weiss, ich muss mich dir gegenüber so oder so verhalten! Ist doch praktisch! Dann braucht man sich nicht mehr auf die vielen paradoxen Verhaltensweisen des Anderen einzulassen. Sie irritieren uns höchstens.

Aus der Schublade wird meist gleichzeitig ein Vergleich konstruiert mit der eigenen Kiste, in der man steckt. Und dann entsteht das Gut oder Schlecht, die Be-ur-teilung. Und weil man sich meist selbst recht eng einordnet, verfallen mögliche Spielräume einer Begegnung. Nicht umsonst ist man Sozialist oder Konservativ usw. Also findet man dies auch „Gut“. Und alles andere ist demgemäss natürlich „Schlecht“. Alle diese Attribute und Kästchen, worin man Menschen am liebsten stecken möchte sind ausserordentlich bequem, aber auch peinlich. Sie erleichtern einerseits den Umgang, aber andererseits auch den Widerstand, die Auseinandersetzung mit einem menschlichen Wesen. Als solches bin ich in erster Linie ein individualisiertes geistiges Wesen, welches auf der Welt Erfahrungen sammeln möchte, sich entwickeln möchte, reifer werden möchte, die Welt verstehen möchte, fühlen lernen möchte, lieben lernen möchte. Und dazu ergreife ich verschiedene Mittel.

Dazu mögen spirituelle Mittel gehören und Inhalte verschiedener Menschen und Lehrer, denen ich in meinem Leben begegne(te). Es gehören ebenso Bewegungen, „Hand“-lungen dazu, das „Begreifen“ mit den Händen und mit den Sinnen, das Erfahren wollen, das Stürzen, das Traurig sein, das Herantasten an andere menschliche Wesen. Alles ist immer nichts anderes als ein Prozess, ein  lebendiger Prozess. Er heisst Leben! Wir werden ihm nicht gerecht durch unsere festgefahrenen Bekenntnisse. Ich bin. Nicht etwa: „Ich bin Sozialist, ich bin Buddhist“… sondern: „Ich bin“ das ist die einzige Haltung, die dem Menschen gerecht wird. Das Erkennen hört nie auf, es schreitet immerzu fort. Heute bin ich der, morgen ein anderer. Und übermorgen wieder ein anderer. Wie soll es anders sein.

Blockiere ich mein eigenes Sein in einer Schublade, dann nehme ich mir die Möglichkeit des Fortschreitens. Ich erstarre in der Zeit, friere sie ein, blockiere sie. Trete hinaus aus dem einzigen wirklichen und realen Leben: Dem Jetzt, in die Vergangenheit …oder auch in die Zukunft in Form von Illusionen… Vielleicht bin ich heute ein Katholik und morgen ein Buddhist. Dennoch: „Ich bin“ noch immer dasselbe geistige Wesen. Nur eben ein Wesen, was sich verwandelt. Das alles nennt man Leben. Sich diesem Wandeln hinzugeben: ist Liebe. Mein Bekenntnis ist: „Ich bin“ ein Mensch im Prozess, der sich stets verwandelt, stets neue Erfahrungen macht und stets neue Erkenntnisse sucht, um die Welt zu Begreifen. Dieser Mensch ist jetzt auf dieser Erde mit einem Namen, einer bestimmten Statur, einer unverkennbaren Stimme, einem festgelegten Geschlecht. All dies ist „vorgegeben“. Ich verstehe vielleicht nicht warum. Es gibt Theorien dazu, die besagen, dass ich früher schon einmal da war, vielleicht mit einer ganz anderen Statur, einem ganz anderen Geschlecht, einer anderer Stimme und anderen Erlebnissen. Das mag sein. Es kann eine These sein, die vieles verständlich macht. Eine These, die verständlich macht, warum wir doch oft so ungleich und ungerecht auf dieser Welt in Erscheinung treten, mit so unterschiedlichen Bedingungen und Verhältnissen. Theorien haben einen Haken.

Es sind zwar Erkenntnismodelle, die mir helfen, mich zu orientieren in der Welt, aber sie können auch zu Hindernissen werden. Dann, wenn ich nicht immer wieder liebend in den Prozess des Lebens (und das wirkliche Leben findet nur in diesem Augenblick statt) eintauche, immer wieder das Andere zu verstehen versuche. Modelle bleiben Modelle, solange, bis sie Erfahrung werden. Aber auch dafür muss ich offen bleiben: Dass sie zu Erfahrungen werden können! Und dass es Wege gibt, die dahin führen, dass sie Erfahrung werden können, darauf muss ich vertrauen! Möge der innere Führer jeder Individualität ihn dahin führen, solche Erfahrungen machen zu können. Dazu bleibt mir eins zu tun: stets offen zu bleiben für alles, was auf mich zukommt…

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