Die Welt ist meine Vorstellung

Schopenhauer„Die Welt ist meine Vorstellung“. Das ist im Grunde das Credo des Ego im Menschen. Von diesem Standpunkt aus betrachtet, hatte der Philosoph Schopenhauer wohl recht.

Gerade in diesen Tagen, um Weihnachten und Silvester/Neujahr, treffen sich, wie alle Jahre wieder, die Familienmitglieder, Bekannten und Anverwandten zum grossen Fest, zum gemeinsamen Essen und zum geselligem Zusammensein. Nicht selten sitzen die engsten Vertrauten – denen wir dem Blute nach doch so nahe stehen – mit einem Gläschen Wein und Knabbernüsschen um einen grossen Tisch und geben ihre Standpunkte zu allen möglichen Themen zum Besten. In diesen Tagen erfahren wir ausserordentlich viel von der Art, dem Charakter und der Denkweise unserer Nächsten und stellen oft erschreckt fest, wie fern sie uns doch eigentlich sind.

Wahrnehmung und Denken

Sie sehen irgendein Objekt in der Welt, eine Situation, Menschen, Erlebnisse, irgend etwas halt. In der unten stehenden Skizze ist dies als Kreis im Zentrum dargestellt, wenn der Gegenstand real und ungefiltert betrachtet werden könnte. Durch die innere Verarbeitung verändert sich dieses „Objekt“ zu einem „Subjekt“: Es entstehen veränderte, modifizierte Bilder, Vorstellungen, Anschauungen, die mit dem wahrgenommenen Objekte nicht mehr viel zu tun haben, symbolisch dargestellt als Quadrat, Dreieck, Rhombus etc. (…in Vertretung dieser Modifikationen, die im Grunde fast bei jedem Menschen etwas anders auftreten – siehe Skizze unten).

Wir nehmen die Welt durch unsere Augen, Ohren, Hände, Füße, durch die Nase und womöglich andere weitere, für uns versteckte, Sinne wahr. Auf der einen Seite der Wahrnehmung stehen die realen Objekte da draussen. Es können aber ebenso gut Erlebnisse oder Inhalte sein, die wir durch die Sinne „in unser Inneres transportieren“. Hier aber geht danach die Post ab. Was in der Außenwelt unanfechtbar und unverrückbar, eingebettet in Raum und Zeit, vorhanden war (oder ist), verändert sich durch den Filter dieser Sinne in unserem Gehirn schlagartig. Aus (metaphorischen) „Kreisen“ werden (metaphorische) „Quadrate“, Dreiecke, Rhomben oder andere Schlingschlangformen*. Der eine sieht die Welterscheinungen so und der andere anders, thats it. So ist es halt. Nun treffen all die Vierecke und Schlingschlangformen, die eigentlich ein Kreis sind, aufeinander. Was passiert? Sie werden verteidigt bis aufs Blut, weil wir aus diesem Blickwinkel heraus bezüglich Unanfechtbarkeit und Richtigkeit unserer Wahrnehmungen keine Zweifel haben. Wir neigen kaum dazu, die eigenen Schlussfolgerungen anzuzweifeln. Zumindest oft erst gegen extreme Widerstände oder einschneidende Erlebnisse, die uns etwas – „verrücken“. Dann konvertieren wir vielleicht bestenfalls vom Quadrat zum Dreieck, oder vom Rhombus zur Schlingschlangform… was schon einem riesigen Fortschritt gleichkommt…

Anyway, in jedem von uns steckt ein Quäntchen dieser Art von Egoismus, auch wenn wir glauben hoch spirituelle Menschen zu sein. Was wir erfahren haben und was uns zugefallen ist, halten wir nur zu gerne für die objektive Tatsache der Welterscheinungen.
Das ist diesen Tatsachen recht egal. Problematisch wird es erst, wenn „Subjekte“, sprich Egos aufeinander treffen. Nicht selten führen Diskussionen dieser Art eher zu noch mehr Distanz als zuvor. Unverständnis für die Sichtweise des anderen tritt ein – und es wird fortan eher geschwiegen, als dass man sich darauf wirklich einlässt. Die Zweifel ob es so etwas wie Konsens, Einklang, Eins-Sein überhaupt gibt aus dieser Warte heraus betrachtet – die ja oft der Haltung unseres unreflektierten Autopiloten entspricht – sind mehr als berechtigt. Das Potenzial dazu liegt wenn überhaupt irgendwo, einzig und allein in unserem Denken. Nur auf dieser Ebene vermögen wir uns überhaupt erst zu verbinden mit dem Inneren eines anderen Menschen! Da jedoch unsere Wahrnehmungen sozusagen an der Peripherie eines alles durchdringenden Gefäßes sind, vermögen wir dieses Werkzeug nicht ungefiltert anzuwenden. Würden diese Filter wegfallen, so gäbe es keine Schranken mehr, das Resultat wäre uneingeschränkter Einklang!

Zwei Ebenen der Wahrnehmung

In der unten stehenden Skizze versuchte ich darzustellen, was oben ausgeführt wurde. Vielleicht wird mein Gedankengang so deutlicher und anschaulicher. Ich gehe davon aus, dass es zwei Ebenen der Wahrnehmung gibt. Die eine ist die sogenannte „Wirklichkeit“, das Reale, die Tatsachen, die uns in der Welt, objektiv (als Objekt) gegenüberstehen. Das können physische, seelische oder durchaus auch geistige „Objekte“ sein: Erlebnisse, Eindrücke, Situationen, denen wir begegnen und die wir durch unsere Sinne erfahren. Wir erfassen und erleben sie (bewusst oder weniger bewusst), aber erst in unserem Inneren! Erst wenn die „Gegenstände“ der Wahrnehmung visuell, durch die Augen, akustisch, durch die Ohren, haptisch, durch die Hände, die Füsse und so weiter, unseren Körper, das Sinnessystem, das Nervensystem und die Verarbeitung im Gehirn, erreicht haben; erst dann verwandeln sich die äusseren Objekte zu inneren (subjektiv wahrgenommenen) Vorstellungsbildern.

Daraus resultieren unsere Urteile, Werte und Sympathien, wie auch alle Antipathien den Dingen der äusseren Welt gegenüber. Dabei ist es nicht notwendig, dass diese äussere Welt nur physisch sei. Es können auch Träume in dieser Weise wahrgenommen werden und natürlich auch Gedanken, alles Gesagte, Mitgeteilte von anderen Menschen, welche wir denkend oder emotional nachverarbeiten. Mit dieser sogenannten „realen Welt“ – im Zentrum der unten stehenden Skizze – kann aber auch das All-Eine, das Wirkliche und das Wahre bezeichnet werden. In gewissem Sinne könnten wir sie gleichfalls „Gott“ nennen, je nach dem, was wir für Vorstellungen und Begriffe damit verbinden sind sie Natur und Geist gleichermassen.

Um dieses Zentrum herum ensteht eine Art „Wirklichkeitsfeld“, etwas, was uns sozusagen insgesamt „objektiv“ gegenübersteht, etwas, was ohne unser Zutun existiert und nicht durch den Filter unserer Wahrnehmungen getrübt ist. Alles, was durch diesen Filter hindurchgeht, quasi verarbeitet worden ist von unserer Persönlichkeit, von dem, was wir gemeinhin das „Ego“ nennen (wenn wir es reflektieren können!), verwandelt sich in der Weise dieses Filters und wird subjektiv. Es wird individualisiert von einem mit ganz bestimmten Erlebnissen und Umständen durchsetzten „Ich“.

Unser Denken steht an der Peripherie der objektiven All-Einen Wirklichkeit und kann sich nach zwei Richtungen hin öffnen (violette Punkte). Die meiste Zeit bleibt es jedoch durchsetzt vom individualisierten Filter der eigenen Persönlichkeit und vermag das Objektive nicht in Reinform zu schauen. Könnten wir mit diesem Denken in das Zentrum jener Wirklichkeit, mit der wir verbunden sind, eintauchen, würden wir ein gewaltiges geistiges Panorama vor uns haben! Wir würden jede Art von Färbung in der Wahrnehmung verlieren. Dieser Zustand wurde von verschiedenen geistigen Lehrern erreicht und unterschiedlich bezeichnet. Sei es die „clair voyance“, die „Erleuchtung“, „Einweihung“, „Intuition“ im höheren Sinne, oder andere Begriffe. Im Grunde geht es immer nur um dieses eine: Um die reine und ungefilterte Wahrnehmung. Leider entsteht durch die Interaktion mit dem Realen, Wirklichen, kaum, selten oder gar nie, ein reines Abbild dieser Wirklichkeit. Was in unser Inneres fließt und vom Verstand, vom Intellekt (gedanklich „einseitig“) – verarbeitet wird, sind deshalb meistens gefärbte, veränderte Vorstellungen dieser Wirklichkeit. Das ist der Grund, weshalb die Kommunikation erschwert wird. Weshalb wir uns vom Anderen und von Anderem getrennt fühlen!

Welt Vorstellung
Die verschiedenen Charaktere, die wir auch in den oben beschriebenen engsten Kreisen wiederfinden, sind natürlich unendlich breit gefächert. Und dennoch gibt es Gemeinsamkeiten, Charakterzüge, die sich gleichen, eine Art Archetypus nach C.G. Jungs Definition. Sie bilden Hauptgruppierungen, die wir durch bestimmte Grundveranlagungen in jedem von uns wiederfinden können. In früheren Zeiten wurden sie in den Temperamenten des Cholerikers, Melancholikers, Sanguinikers und Phlegmatikers zusammengefasst umschrieben.

Der Sinn des Lebens

Ungeachtet dieser Temperamente muss jedoch die Tatsache dieser zwei verschiedenen Wahrnehmungsebenen unterschieden werden. Die grosse Frage bleibt bestehen: Wie kommt man darüber hinaus, wie schafft man es, sich die Wahrnemungen rein und ungefiltert einzuverleiben? Und damit verbunden die andere Frage, die sich immer wieder um den Sinn unseres Lebens und um unsere Bestimmung in der eigenen Biografie dreht: Wo kommen wir her, wo gehen wir hin und was ist die wahre Bestimmung unseres Lebens?

Viele Menschen hocken auf ihren Standpunkten fest. Sie erkennen natürlich den Umstand dieser Trennung nicht und binden sich existentiell an ihre eigene Erfahrungswelt. Dadurch aber verketten sie Leib, Seele und Geist in einer „unheiligen Allianz“. Der Verlust gewisser alter und verkrusteter Meinungen und Gedanken, bedeutet für sie soviel wie der Tod. Das ist auch der Grund, weshalb sie sich so fest an ihren Grundsätzen klammern. Die Idee: Es könnte doch auch einmal anders gedacht, aus einem anderen Gesichtswinkel beobachtet werden, kommt ihnen nicht nur nicht in den Sinn, sondern sie wird, wenn sie von aussen herantritt zu einer grossen Gefahr! Sie bedeuten den Verlust ihrer eigenen Identität! Das Betrachten ihrer selbst wird zu einem Schritt in den Abgrund, zu einer existentiellen Gefährdung ihrer Persönlichkeit. Deshalb wird es vorgezogen, solche Fragen zu verdrängen, sie von sich zu weisen oder zu ignorieren.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

*Die oben angeführten Formen müssen selbstverständlich nur als Synonyme oder Platzhalter für sämtliche Wahrnehmungsinhalte verstanden werden…

Illusion der Leere

LeereIn vielen asiatischen Religionen oder Weltanschauungen, die ja auch hierzulande immer populärer werden, ist sie ein ideal, sozusagen das Ende, der Gipfel jeder spirituellen Entwicklung: die innere Leere. Damit ist vor allem gemeint, ein leer sein von Gedanken und Vorstellungen, die den Adepten durchziehen und ihm die Erfahrung des ewigen Seins verbauen. Diese finale Erfahrung, die allerorten als „friedvolle Glücksmomente“ oder als „tiefe innere Stille“ beschrieben und erlebt werden, sind in diesem Kontext das oberste Ziel jeder menschlichen Entwicklung.

Dabei werden oft die Gedanken als der böse Belzebub in den Fokus jeglicher Hemmnis gerückt und deren zerstörerische Wirkung in die Verantwortung mangelnder Tiefenerfahrung geschoben. Das ist der erste zentrale Punkt, an dem sich die Gemüter streiten. Der zweite ist die Verhaftung mit dem „ich“, welcher, als Konsequenz dieser unaufhörlichen Denktätigkeit, die Schuld zugeschoben wird.
Das Denken und diese dauernde Identifikation scheinen demnach Urheber und Hemmschuh jeder spirituellen Entwicklung zu sein und müssen „gelöscht“ werden.

Auch ich habe im Buch über „Selbstreflexion“ viel über diese Themen geschrieben. Dennoch grenze ich mich deutlich von den so dargestellten Vorstellungen ab und halte die Erreichung dieser Art von Leere für eine große Illusion. Folgende Gründe möchte ich dazu anfügen.

Das doppelte Denken

Zum ersten Punkt, dem Ideal innerer Leere näher zu kommen, könnte folgender Gedanke behilflich sein. Zwei Erfahrungsebenen menschlichen Erlebens werden mit einem einzigen Begriff belegt. Das erste ist die Erfahrungsebene der „Vorstellungen“. Das zweite jene des „Denkens“. Die erste ist passiv, die zweite aktiv. Diese beiden unterscheiden sich im Kern durch Qualitäten, die unterschiedlicher nicht sein könnten und müssen unterschieden werden. auch wenn sie sich für den naiven Realisten gleich anfühlen.

Wenn ich sage: „die Farbe blau gefällt mir am besten“, dann drücke ich damit ein Verhältnis aus, welches mein inneres Seelenleben in Bezug setzt zu einer inneren, persönlichen Welt und damit zur zur Bildung meiner Vorstellung. Das tue ich, indem ich mein Denken in Bezug setze zu meinen Gefühlen, zum Körper, zu den persönlichen Emotionen, die sich aus meiner eigenen Geschichte ergeben. Das ist schön und selbstverständlich legitim! Aufgepasst: Es geht um die Unterscheidung, nicht um die Wertung!
Wenn ich hingegen sage: „die Farbe Blau unterscheidet sich von der Farbe Rot“, dann habe ich kein persönliches Verhältnis damit ausgedrückt, sondern eine universell gültige Tatsache, die sich aus der Wahrnehmung beider Farben und einem Vergleich zusammen mit einem aktiven Denkprozess ergibt. Dazu muss ich den Standpunkt nach außen verlegen. Beide male benutzte ich meine Denkfähigkeit, setzte sie aber unterschiedlich ein.

Wenn ich nun den Gedanken ausspreche: „die innere Leere ist das Ziel jeder spirituellen Entwicklung“, dann könnte man sich darüber streiten, ob es eine universelle oder nur eine persönliche Wahrheit darstellt. In solchen Fällen kann es durchaus ebenso auf einem aktiven Denkprozess beruhen, der sich aber auf einer persönliche Erfahrung stützt. Gesetzt der Fall, dass ich sie tatsächlich erreiche, als Übender dieses Gedankenkonzeptes, diese innere Leere erreiche, dann bin ich in dem Moment  zugleich „frei von jeglichen Gedanken“. Da ich diese selbst aber dazu benutzte, um später gegenüber anderen, von den erreichten Erlebnissen zu berichten, bin ich entweder der Illusion verfallen, wirklich leer zu sein (denn scheinbar war ein erinnerndes Bewusstsein gleichwohl noch vorhanden, sonst hätte ich nachher keine Kenntnisse darüber), oder ich war wirklich leer, dann könnte ich dieses Erlebnis aber niemanden mehr mitteilen, da ich es selber vergessen hätte. Die Erfahrung dieser Glücksmomente müssen irgendwo (außerhalb der Leere, quasi in einem Erinnerungspool) gespeichert worden sein. Wovon ich leer geworden bin, mögen meine Vorstellungen sein, die passiven Gedanken, die ständig durch meinen Kopf ziehen, unaufhaltsam und ohne mein Zutun. Aber „etwas“ ist geblieben und hat sich in diesem Erinnerungspool erhalten. Nenne es Bewusstsein oder Gedanke, jedenfalls lassen sie sich im Nachhinein wahrnehmen und wieder zu Gedanken zusammensetzen. Sie verhindern sozusagen das Selbstvergessen und damit auch die Möglichkeit des Nachempfindens irgendwelcher Gefühle!

Das doppelte Ich

Zwingend mit dieser Tatsache verbunden, ist aber genauso der Begriff des „ich“. Auch hier muss man ihn in zweierlei Richtungen einsetzen! Das erste ist das Erleben der Verhaftung mit den Gedanken, das zweite die Erinnerung daran („Erinnerungspool“). Bin ich nämlich wirklich und endgültig verhaftet, und gäbe es nur ein einziges ich, nämlich das kleine, dann könnte ich nicht gleichzeitig ein Bewusstsein darüber haben, dass ich (Ich?) es bin. So gesehen würde ich mich quasi in einem Tunnel befinden (im „Ego Tunnel“ des Thomas Metzinger), wüsste aber nichts davon!

Fazit ist: Das Wissen um solche Identifikationen kann nur ein Bewusstsein mit einem Aussenblick haben! Der „feste Punkt“ oder ein Gefäss, welches nun auf diese Weise entsteht, ist nicht auf derselben Ebene wie das identifizierte kleine ich, wenngleich es mit ihm verbunden ist! Auf Begriffe kommt es in diesem Falle nicht an, ich kann das kleine X nennen und das andere Y, oder Ego und Ich usw. Wichtig ist die Unterscheidung von zwei unterschiedlichen Bewusstseinsebenen! Nur auf diese Weise kann der Damm der Erkenntnisgrenze gebrochen werden und die Verwurzelung zum geistigen Ursprung wiederhergestellt werden, beziehungsweise die unmittelbare Erfahrung desselben. Dies zweite ist auch die Ebene, von welcher aus ich „Selbst-Reflexion“ meine! Auch wenn der Begriff „Reflexion“ vielleicht ungünstig ist und besser von „Selbst- Beobachtung“ gesprochen werden müsste. Eine Reflexion, die quasi kontrollierend und urteilend gegenübersteht, findet immer nur auf der unteren Ebene statt. Sie geschieht dadurch, dass wir uns aus dem einen Teilselbst lösen und von einem anderen auf dieses Eine blicken. Zum Beispiel aus der „Vaterrolle“ auf unser kindliches Verhalten in einer bestimmten Situation usw. Das kann durchaus psychologisch interessant und gut sein, bleibt aber für die angesprochene Erfahrung irrelevant.

Aus diesem Grund ist die Phrase zur Erreichung der inneren Leere (vielleicht besser „Stille“), bestenfalls eine Krücke, die quasi an ein Erlebnis heranführen will, nämlich an jenes unserer eigenen Doppelnatur. Die Verbindung mit dem universellen Keim unseres Bewusstseins darf dabei nicht übersehen werden. Der „Fall“ ins „Nichts“ ist aber nicht nur eine Illusion, sondern zudem auch gefährlich für unsere psychische Struktur. Die Abkoppelung von dem universellen Erleben und die Einbindung in ein wunderschön ausgeschmücktes „Gefängnis“ kann die Folge sein, eines unüberprüfbaren Wolkenkuckucksheim des schönen Scheins. Deshalb betonen viele grosse spirituelle Lehrer die Wichtigkeit der Charakterschulung, bevor man die ersten konkreten spirituellen Schritte unternimmt. Rudolf Steiner z.B. mahnt in seiner Schrift „Wie erlangt man Erkenntnisse höherer Welten“ eindringlich und unmissverständlich,  immer erst drei Schritte in der Charakterbildung und einen in der konkreten Schulung der Hellsichtigkeit zu tun…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Weihnächtliche Spitzfindigkeiten

drudenfussJesus war kein Christ, sondern Jude, soviel ist gewiss. Nur vergessen das viele. Die Art und Weise wie er gewirkt hat, mag man „christlich“ nennen. Doch den Begriff „Christentum“ gab es zu seiner Zeit noch nicht! Wie alle …ismen, alle …tums, so ist auch das „Christentum“ eine aus der Nachwelt (eines durchaus grossen Impulses…) geschaffene Lehre.

Durch den zeitlichen Abstand verändern sich zudem die überlieferten Inhalte massiv. Je mehr die Zeit vergeht, desto komplexer wird jede „Lehre“. Sie wird zur „Lehrmeinung“, zum Dogma und der Zauber der einst darin lag, erlischt schnell. Die „Begründung“ eines Impulses wird mit der Zeit wichtiger als das einstige Erleben desselben. So ist es immer, wenn etwas Entscheidendes auf der Welt passiert. Es geschieht selten (ich behaupte sogar niemals) irgendetwas wirklich Nachhaltiges aus einem konstruierten oder ausgedachten Wissen, sondern immer nur aus unmittelbar Erlebtem, quasi aus der Quelle selbst geschöpfter Tat. Seien es wichtige Ereignisse, wichtige Erfindungen, wichtige Impulse, wichtige Wendungen: Immer sind es kleine oder grössere Wunder, die sich in der Welt manifestieren und etwas, wie aus dem Nichts – oder fast wie zufällig – in Bewegung setzen.

Dies gilt durchaus für alle oder doch zumindest für die meisten Religionen und deren grosse Führer, mögen sie Buddha, Krishna, Zarathustra, Moses oder Jesus oder anders heissen. Sie alle schöpften aus der „Quelle“ selbst, aus dem Lebendigen und Unmittelbaren. Es sind nicht nur blosse Ideen von Gerechtigkeit, Menschlichkeit, Nächstenliebe und so weiter, die daraus hervorgingen. Es ist mehr. Es ist ein geistiger Schöpfungsprozess.

Ein starkes Zeichen für den Verlust unmittelbaren Erlebens  ist der „Weihnachtsstern“. Schaut man auf das Bild oben, so sind Zweifel an einem spirituellen (und damit unmittelbaren) Zusammenhang dieses Symbols mit dem Inhalt berechtigt. Man fragt sich dann ernsthaft, was viele dieser „Christen“ eigentlich noch mit dem Weihnachtsfest verbindet (ausser dem üblichen Rummel in den Kaufhäusern). Die meisten hängen heutzutage diesen Stern nämlich verkehrt herum auf (als „Drudenfuss“!). So sieht er eher aus wie eine zur Erde stürzende Rakete… So auf der Spitze stehend, sieht er aber auch aus wie ein umgedrehter Mensch. Man denke etwa an die Symbolik dieses Sterns im Sinne Lionardo de Vincis (siehe Bild).

davinciDer eine, obere Zacken symbolisiert den Kopf des aufrechten Menschen. Dort sammeln sich gemäss seiner erlebten (christlichen) Praxis die Kräfte in der Einheit (im Denken und Erkennen nämlich: also im Bewusstsein). Sie schaffen den Zusammenhang des Menschen mit dem „Himmel“, oder dem „göttlichen“. Die Zweiteilung unten entspricht den beiden Beinen, die fest und stabil auf dem Boden stehen, um durch Bewegung die Welt zu begreifen und den festen „Standpunkt“ zu gewinnen! Sie schaffen so die Grundlage für Kräfte, um „oben“ – im Bewusstsein – frei zu werden. Ebenso dienen die ausgebreiteten Arme dazu, ein Gleichgewicht zwischen oben und unten, links und rechts, vorne und hinten zu schaffen und sich in der Mitte (ausgleichend) auszubalancieren.

Der umgedrehte Stern (Drudenfuss) stellt dementgegen den Menschen mit dem Kopf nach unten und den Beinen nach oben dar. Es zeigt uns sozusagen den „gefallenen Engel“, der auch oft Satan, Daimon, Bahomed oder Luzifer zugeordnet wird. Zudem stellt er eine sehr passable Grundlage für dessen Kopf dar… (siehe Bild)

dämonKurz, er ist zweifellos ein dämonisches Symbol.
Was (zum Teufel), so kann man sich fragen, hat dies noch mit dem christlichen Urimpuls zu tun? Nicht nur nichts, sondern das Gegenteil! Das Bewusstsein darum war noch vor einigen Jahrzehnten, zumindest latent, vorhanden. Man fühlte sozusagen die Unstimmigkeit. Der umgedrehte Stern ist in den letzten Jahren oder gar Jahrzehnten Usus geworden und hat sich etabliert. So wie vieles andere auch… Wer (zum Teufel) hat es bewirkt, dass heute fast die Hälfte aller „Weihnachststerne“, verkehrt herum aufgehängt werden und sogar industriell so angefertigt werden (siehe Aufhängevorrichtung), dass dies nur mit Mühe andersherum möglich wäre…

Ist also der wirkliche, spirituelle Faden mit Weihnachten und allgemein mit dem Christentum oder noch besser mit der Quelle des Seins, gerissen? Oder sind Kräfte am Werk, Geister, die wir rufen (riefen), die uns vom Kern einer inneren Entwicklung abziehen wollen? Quasi durch die Hintertüre, abseits unseres vollen Bewusstseins? Ich stelle es gerne als Frage in den Raum, im Bewusstsein, dass so mancher nur ein müdes Lächeln für solche „Spitz“-findigkeiten (im Stern), übrig haben kann.

Ohne jetzt irgendwelche Verschwörungstheorien anzuzetteln oder irgend jemanden von irgend etwas überzeugen zu wollen, ist die Frage, was sich alles in unser Unterbewusstsein einschleichen kann, berechtigt, so meine ich. Wir kennen unsere eigenen, inneren „Dämonen“  am besten… (im Prinzip zumindest, wenn wir genügend Selbstbeobachtungsgabe haben)! Wir wissen, was wir wirklich wollen und was wir nicht wollen. Jede innere Entwicklung verlangt ein gesundes Mass an Eigenwahrnehmung. Das heisst zugleich, Impulse wahrzunehmen, die aus den Tiefen unseres Bewusstsein kommen. Und dabei die Intentionen dieser Impulse zu durchschauen. Nicht immer sind diese „Kräfte“, die an unserer Vernunft zerren, einfach durchschaubar. In diesem Sinne können Sie diese Sterngeschichte gerne als Synonym für solche Prozesse auffassen…

Frohe Weihnachten !

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Mit fremden Augen sehen…

Fremde AugenSehr gerne würde ich einmal in die Augen anderer Menschen hineinschlüpfen. Wie würde ich die Welt aus deren Blickwinkel wohl sehen? Ganz banale Dinge, wie einen Stuhl, einen Tisch, einen Baum durch ihren Blick wahrnehmen. Auch wenn es dasselbe Objekt ist, was ich da vor Augen hätte, so würde ich mit Sicherheit doch nicht dasselbe sehen.

Es wäre sicher falsch davon auszugehen, dass wir dasselbe sehen würden. Denn mit den Augen sind unsere Vorstellungen und unsere Gedanken über die Dinge, die wir sehen, eng verknüpft . Wir sehen nie wirklich objektiv!
Der mit der Wahrnehmung verknüpfte Gedanke entstellt jedes Objekt und bringt es in einen rein subjektiven, persönlichen Zusammenhang. Ich würde vermutlich sehr erstaunt sein darüber, was ich mit den Augen des anderen sehen würde. Ja, ich würde schon gar nicht dieselben Dinge anschauen, wenn ich durch die Stadt gehen würde. Vielleicht würde ich plötzlich Objekte erkennen, die ich vorher noch nie gesehen habe, die mir bisher niemals aufgefallen sind, weil ich ganz einfach den Sinn dafür nicht hatte. Es wäre mir z.B. wichtig, welche Schuhe die Menschen anhaben, oder ob ihre Fingernägel gepflegt seien!
Ich würde Läden entdecken, von denen ich keine Ahnung hatte, dass es sie überhaupt gibt. Und selbstverständlich würde mir alles vollkommen fremd vorkommen, sehr fremd, weil das innere Bild, welches ich mit diesen Wahrnehmungen verknüpfte, keinen Gleichklang mit meiner eigenen Sichtweise mehr fände. Es wäre nicht mehr dieselbe, „meine“, Stadt, die ich vorher so gut gekannt hatte. Es wären nicht mehr dieselben Menschen, mit denen ich verkehrte. Vielleicht würde ich sogar ein bisschen ver – rückt…

Alles, was wir sehen, verbinden wir mit unserer persönlichen Welt und es bildet sich daraus eine abgeschlossene, subjektive, eigene (Innen-) Welt. Sie ist für andere Menschen oft nur schwer nachvollziehbar oder nacherlebbar. Selbst dieser Text ist aus einem Gehirn geflossen, welches vollkommen andere Inhalte hat, als der oder die Leserin es haben mögen. Manchmal, wenn wir Glück haben, geht „etwas“ auf geheimnisvolle Weise zusammen, aber das ist doch verhältnismässig selten. Viel häufiger ist diese “ja, aber…“- Einwendung zu vernehmen. Wenige Menschen können etwas, was ihnen von außen zukommt (oder zufällt), bedingungslos annehmen.

Warum ist das so? Warum fühlen wir uns immer so kompetent und souverän dem anderen gegenüber? Sicher, es gibt viele Fragen, in denen wir uns zurückhalten sollten, wo wir eingestehen müssen, dass wir nichts von der Sache verstehen und wo wir uns gerne belehren lassen. In jüngeren Jahren vielleicht noch öfters, als in älteren. Aus meiner Erfahrung heraus, die natürlich auch eine ganz persönliche ist, überwiegt aber das moderat gewichtige „Kompetenzverhalten“ bei vielen Menschen. Dabei sind Kommentare, wie oben erwähnt, doch eher selten zu hören. Viel häufiger ist doch das “ja, aber…“…

Die mit den Wahrnehmungen und Erlebnissen verbundenen Gedanken sind Produkte unserer eigenen, individualisierten Biographie. Im Grunde können wir sie mit niemandem teilen. Es braucht auf dieser Ebene der Kommunikation immer ein gewisses Entgegenkommen und Wohlwollen des Gesprächspartners. Die „Meinungsprodukte“ (oder Konstrukte) werden durch die Erinnerung und durch Bestätigung von aussen, die wir uns oft erkämpfen müssen/wollen, zunehmend gestärkt und verfestigt. Es bilden sich aus schmalen Waldpfaden nach und nach breite “Autobahnen“ neuronaler Datenverknüpfungen in unserem Gehirn! Je mehr wir in unserem Gedankenkonstrukt bestätigt werden, sei es durch entsprechende Erlebnisse: “siehst du, ich habe es immer gesagt, dass es so kommen werde…“, oder sei es durch das Einholen äußerer Bestätigungen: “…bin ich nicht gut!?!“. So werden aus den objektiven Wahrnehmungen mit der Zeit stark gefärbte Verhärtungen und Fixierungen, denen wir uns kaum mehr entziehen können.

Die Dinge werden dann halt so gesehen, wie wir sie sehen wollen. Das geht zuweilen unter die Ratio, bis in konstitutionelle und instinktive Verankerungen hinein… Hier nützen keine verstandesmässigen Zugeständnisse mehr. Es gibt auch in der Politik kultivierte Bestätigungsmodelle: sie heißen CDU, SP, FDP, SVP, Grüne oder auch anders. Das persönliche Abweichen von den Parteiprogrammen führt oft zu Gruppenzwang oder Ausschluss. Auf diese Art und Weise wird sichergestellt, dass geordnete, vorgegebene Gedanken, Programme und Strukturen aufrecht erhalten bleiben, selbst wenn es einem vernünftigen Sachverhalt widerspricht. Man nennt das zuweilen auch Gehirnwäsche. Aber nicht nur in der Politik ist solches zu finden. Auch in der Gesellschaft sind viele bindende Konventionen verankert, die zuweilen keine Spielräume für eine Öffnung mehr bieten. Dies alles würde uns erst dann wirklich bewusst werden, wenn wir in andere Menschen hineinschlüpfen könnten. Vielleicht hilft manchmal nur schon dieser Gedanke weiter, um auf andere Gedanken zu kommen. Das kann ein Anfang sein…

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

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