Meinungsfreiheit = frei sein von Meinungen

AutonomWenngleich die subjektive Meinung des Einzelnen nicht identisch sein kann mit einem „universellen“ Ideal einer Gesellschaft, so muß doch deutlich werden, daß jede Einschränkung der freien Meinungsäußerung keinen Entwicklungsfortschritt in der Welt bringen kann. Auf der „Formebene“ haben alle Arten von Kommunikation einen subjektiven Charakter. Dennoch muss es erlaubt sein (eben in Sinne dieser Meinungsfreiheit), kritische Fragen dazu zu stellen…

Wahr oder falsch sind zwei unbefriedigende Konzepte auf der formalen Ebene, weil jeder Mensch seine eigenen Vorstellungen nur immer aus dem persönlichen Lebenshintergrund heraus bildet. Was über das Persönliche hinaus geht, wie z.B. der viel zitierte und berühmte Satz Immanuel Kants: „Mit dem Denken kommt man nicht zur Wahrheit…“, der befindet sich bereits auf einer überpersönlichen Ebene, die wir „Logik“ nennen. Bei dem Satz Kants könnte man jedoch desgleichen mit Berufung auf die Logik widersprechen: „Wenn man mit dem Denken nicht zur Wahrheit kommen kann, dieser Satz aber gedacht ist, dann kann er auch nicht wahr sein!“

Nun sind aber dennoch die meisten Lebenskonzepte nicht logisch, sondern erfahrungsgeprägt und somit subjektiv gefärbt und dadurch formal. Dieser Text hat genauso subjektiven Charakter, wie andere Lebenskonzepte auch und will sich deshalb auch nicht als objektiv gültig hinstellen. Er will vielmehr zum Mitdenken einladen. Deshalb hat er einen gewissen Wert. So wie jede subjektive Meinungsäußerung nur schon dadurch ihren bestimmten Wert hat, dass sie Aufforderung zum mitdenken bedeutet. Denn sie enthält selbst hinter diesem subjektiven Schleier das berühmte „Körnchen Wahrheit“, das heißt den universellen Hintergrund auf den sie hinweisen will. Dennoch sind sie mit der Logik nicht immer nachvollziehbar. Dessen bin ich mir voll und ganz bewußt. Aber diesen Anspruch will ich auch gar nicht haben. Der Inhalt zeigt vielmehr den Prozeß der Gedankenbildung aufgrund eigener Erfahrungswerte.

Denken ist ein sozialer Akt
Abschaffung der Meinungsfreiheit würde gleichzeitig auch die Beschneidung von Entwicklungsmöglichkeiten bedeuten. Denn durch den Prozeß der Meinungsbildung, aus der subjektiv persönlichen Erfahrung heraus, entstehen, wenn man sie reflektiert, neue Wahrnehmungsmöglichkeiten. Diese können zwar „einfrieren“, wie wir das des Öfteren bereits dargestellt haben. Meinungen können sich verhärten, wenn man ihnen keinen Raum mehr gibt, sich fortzuentwickeln und zu verwandeln. Diesen (Frei-) Raum muß man sich stets offen lassen.
Es wird heftig darüber diskutiert, wo denn die Grenzen der Meinungsfreiheit seien. Dies insbesondere im Zusammenhang mit Ausländerfragen. Das Beispiel von Thilo Sarrazin zeigte dies deutlich (2010). Sind nun die abwertenden Urteile in seinem Buch strafrechtlich verfolgbar oder nicht, lautete die viel gehörte Frage? Allein die Diskussion von Grenzen ist niemals auf einer universellen Ebene lösbar. Es ist immer eine Frage des persönlichen und subjektiven Ermessens. Solche Grundlagen dürften aber nicht gesetzeskonform werden. Auch hier wird man nicht über die Formebene hinauskommen.

Das Gleiche in der politischen Diskussion. Daß sich die Fronten zwischen Links und Rechts immer mehr verhärten und eine echte Synthese kaum mehr möglich scheint, bestätigt diese Einschätzungen. Die Meinungen in den Parteien werden meistens bereits im Anfangsstadium einer neuen politischen Thematik abschließend gebildet. Was danach folgt ist Machtkampf ohne jegliche Fremdwahrnehmung, ohne das erneute In-Frage-Stellen oder Überdenken einer Sache. Alles läuft auf Kampf hinaus. Aber ein „Sieg“ im Kampf der Argumente, muß nicht gleichbedeutend mit „Wahrheit“ sein. Darin liegt vielleicht das größte Hindernis in einer Demokratie. Wer als „Sieger“ hervorgeht, der muss sich fragen, auf wessen Kosten er diesen erkämpft hat. Oft ist die Mehrheit der Meinungen nicht identisch mit den wirklichen Lösungswegen und kann im Grunde nie befriedigen.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie… und jetzt neu auch eines über Anthroposophie… Glaube oder Wissenschaft? und über Kunst – ein kreatives Thema… und noch ein Kunstbuch mit dem Titel: Form-Lust

Veröffentlicht von

weth

1956 in der Schweiz geboren; Autor, Bildhauer, Werklehrer, Architekt und früher einmal Hochbauzeichner und Maurer...

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