Mein therapeutisches Konzept

TherapieAls junger Therapeut oder junge Therapeutin hat man sich nach der Ausbildung ein Arsenal von Werkzeugen, Methoden und Wissensstoff angeeignet, welches quasi auf seinen Einsatz wartet. Man hat – in einer guten Ausbildung – zudem viele Erfahrungen mit Menschen gesammelt, die dazu beitragen, das Gelernte in entsprechender Weise um- und einzusetzen. Wird man dann endgültig in die praktische Tätigkeit entlassen, steht man dennoch oft vor vielen neuen Rätseln.

Fehlendes Wissen kompensieren | Ich selbst versuchte das Fehlende stets mit neuem Wissen zu kompensieren. Ich las viele Bücher, die mir die Lösung der vielen Rätsel „Mensch“ zu enthüllen versprachen. Dabei stiess ich auf allerlei interessante Zusammenhänge, entwarf immer neue „Verlaufsblätter“ daraus und übertrug das Neuerlernte in den therapeutischen Alltag. Es war mir wichtig, so klar und bewusst wie möglich an den Therapieauftrag heranzugehen. Ich schrieb fleissig und akribisch Rapporte von jeder Stunde und dokumentierte den Verlauf gewissenhaft. Trotzdem stiess ich immer wieder auf neue Rätsel. Die „Fälle“ (sprich Menschen), deren Diagnose ich zu kennen glaubte, verhielten sich nie genau so, wie es aufgrund der Indikation zu erwarten war, selbst wenn nach dem Krankheitsbild zu urteilen, ähnliche Sachverhalte vorlagen. Klar, kein Depressiver ist gleich wie der andere Depressive. Ich entdeckte das Mysterium des Individuums kennen. Die Folge war, dass ich mich immer weniger auf die kreierten Verlaufsblätter verlassen konnte und immer weniger in das Wahrgenommene hineininterpretierte. Dabei durchbrach ich eine Mauer, die mir bisher trotz alles Wissens und aller „Erfahrung“ unbekannt geblieben war. Es enthüllte sich vor mir ein neuer Mensch.

Ein neues Instrument entdecken | Fortan begann ich mehr und mehr, mich auf ein anderes Instrument in mir zu verlassen und dieses allmählich auszubilden und reifer werden zu lassen. Vielmehr waren (und sind es noch) Erkenntnis-Werkzeuge, die einzig und alleine wirksam sind in der Begegnung mit Menschen und die ihnen mehr bringen, als alles andere äussere Wissen. Das wichtigste bleibt die Selbst-Beobachtung und Selbst-Erkenntnis. Jede wesentliche Begegnung bedeutet im tieferen Sinne eine heilende Begegnung. Dies begriffen zu haben, ist für mich eine der bedeutendsten Erfahrungen meiner bislang 25-jährigen Tätigkeit als Kunsttherapeut.

Evidenzbasierte Therapie | Es wird gegenwärtig viel von „evidenzbasierter Therapie“ gesprochen. Das heißt, man hat eine möglichst exakte und effiziente Kontrolle über die Beziehung von Indikation und daraus folgender therapeutischer Handlung: Fall A bedingt Behandlung B, Fall F bedingt Behandlung S usw. Zauberwort „Fallpauschale“ Dies reduziert die Behandlungsdauer radikal und damit natürlich auch die Kosten. Ob dies auch für die Krankheit selbst gilt, sei in Frage gestellt. Feste, quantifizierbare Größen, Konzepte und Rezepte sind dabei unabdingbar. Medikamente stehen im Zentrum solchen Wirkens. Die biochemischen Reaktionen im physischen Organismus sind klar und relativ objektiv ermittelbar mit Inkaufnahme gewisser „Nebenwirkungen“. Letztere sind allerdings auch ein Beweis für den Mangel an individueller Bezugnahme auf den einzelnen Menschen.

Feste Regeln geben den PatientInnen zwar eine gewisse Sicherheit und das gute Gefühl, „etwas getan zu haben“, in guten Händen zu sein. Dies mag, insbesondere bei klaren, eindeutigen Diagnosen, gewiss sehr erfolgreich sein. In erster Linie geht es da um Schmerzbeseitigung und Symptombekämpfung. Der Heilbegriff definiert sich über diese Grundhaltung. Bei psychischen Krisen und Konflikten stellt sich die berechtigte Frage, wie umfassend diese Denkweise sein kann. Inwiefern werden solche vorgegebenen, pauschalen Antworten dem individuellen Anspruch eines Menschen noch gerecht?

Mein persönliches therapeutisches „Konzept“ wenn man so will, ist, als Antwort darauf, die Anwendung einer „situationsangepassten Intuition“. Wobei ich mir nicht einbilde, zu wirklichen Intuitionen im Sinne Rudolf Steiners, vorzudringen. Das Entscheidende ist der eigene innere Weg, den man zu beschreiten gewillt ist, in diese Richtung zu wirken, mit allen entsprechenden Konsequenzen. In einer therapeutischen Situation, die auf Einzelbasis geführt wird, stehen sich zunächst zwei Individuen, TherapeutIn und KlientIn gegenüber. Der oder die letztere hat ein Ziel vor Augen. Irgendetwas hat sie oder ihn in die Therapie-Situation geführt. Die Intervention kann auf verschiedene Weise geschehen. Grundsätzlich haben die Klienten bereits vor der Kontaktaufnahme einen Teil des Weges selbst vorgegeben. In meinem Fall möchten sie ihr Ziel in einem künstlerischen Prozess und dem damit sich ergebenden verbalen Austausch angehen. In andern Fällen suchen sie den Konflikt oder das Problem allein im Gespräch zu lösen.

Ein guter therapeutischer Verlauf zeigt sich in grundsätzlich vier Stufen. Die erste ist die eigentliche Kontaktaufnahme, das gegenseitige „innere Abtasten“ und sich finden. Die zweite Stufe ist der Aufbau einer Basis, die den weiteren Prozess trägt und fördert. Sie ergibt sich aus dem Vertrauen. Eine dritte Stufe kann darauf aufbauend die grundlegende Thematik sichtbar machen. Und die vierte Stufe schließlich ebnet den Weg zur Umsetzung in die Tat. Meistens folgt darauf eine fünfte Stufe, die ich als Stabilisierungs-Phase bezeichnen möchte. Eingerahmt werden in meinem Fall die fünf Stufen jeweils von einem Erstlingswerk und einem Abschlusswerk.

Das größte Hindernis im ganzen Prozess ist die Tatsache, dass wir einen Menschen immer in seiner Doppelnatur erkennen und begreifen müssen. Sowohl der Therapeut, wie auch der Klient/die Klientin müssen in die Verhältnisse dieser Doppelnatur Klarheit bringen, um im wahren Ich angesprochen werden zu können. Hier liegt meines Erachtens das größte Konfliktpotential. Ein Teil des Selbstes möchte sich entfalten, sich weiter entwickeln, der andere ist oft bequem oder verdrängt viele Tatsachen oder Verhaltensweisen der eigenen Persönlichkeit. Dieser Tatbestand verlangt großes Einfühlungsvermögen, vor allem von Seiten des Therapeuten/ der Therapeutin. Die Gefahr besteht darin, dass mögliche Interventionen geblockt werden und in dieser Verhinderung ein Spiegelungsprozess, eine Projektion stattfindet, die tragischerweise oft von beiden Seiten nicht durchschaut wird!

Dies kann in „positiver“ oder „negativer“ Weise geschehen. Beides wird in Anführungszeichen gesetzt. Denn „positiv“ bedeutet lediglich, dass das Gefühl positiv „genährt“ wird, zum Beispiel dadurch, dass sich der eine oder die andere verliebt oder die Autorität zum tragenden Faktor wird. „Negativ“ in diesem Sinne hat das Gegenteil zur Folge und kann zum Abbruch der Therapie oder zur inneren Blockade führen. Im ersten Fall entsteht eine ungünstig zu bewertende Abhängigkeit, im zweiten Fall bleibt das Erreichen des Zieles durch Abbruch oder Selbst-Behinderung aus. In beiden Fällen wird der eigene innere Zustand auf das gegenüber projiziert, statt im eigenen Selbst ausgetragen zu werden. Wir wollen den bequemen und zur Verdrängung neigenden Teil eines Menschen einmal das „Ego“ nennen. Meines Erachtens wird dieses bedient und gefördert im erstgenannten Verfahren. Dabei werden die Menschen im schlechten Sinn nur „behandelt“. Viele Menschen wollen „nur“ „behandelt“ werden. Es ist einfacher, als in sich selber „etwas in Bewegung“ zu bringen.

Persönlichkeitsanteile | Beide, sowohl Therapeut wie KlientIn kennen und nähren jenen Anteil in ihrem Alltag und handeln aus ihm heraus. Die therapeutischer Kompetenz gegenüber den meisten Klienten besteht lediglich darin, dass sie im Idealfall ein höheres Bewusstsein von den darin laufenden Mechanismen, Prozessen und Automatismen entwickelt hat als es der Normalfall ist. Dadurch ist er oder sie besser in der Lage, diese auch bei anderen Menschen zu erkennen und zu benennen. Die Hauptaufgabe einer Therapie besteht aus meiner Erfahrung und Sichtweise darin, dass man besser und bewusster bei sich mit diesen Anteilen umgehen kann – und lernt, sie im Alltag zu erkennen. Es kann aber auch geschehen, dass gerade jene Anteile genährt und gefördert werden – und somit das Ego des Klienten gestärkt wird! Obwohl sich dies für diesen zunächst sehr gut anfühlen kann, man kann das sehr gut auch bei Kindern beobachten, so wird es sich längerfristig dennoch als Trugschluss entlarven. Damit einher geht nämlich eine Ablenkung oder Eindeckung des zentralen Anliegens meines Heil-Verständnisses.

Das Problem wird dadurch „gelöst“ (oder eben nicht gelöst), dass es von einem Lust- oder Triebaspekt des eigenen Egos überdeckt und zubetoniert wird. Dazu zählen alle möglichen Verhaltensregeln oder Anweisungen, die dies unterstützen. Durch Konditionierung im Verhalten befriedigt man das Konsumverhalten vieler Menschen und den Drang nach einfachen Lösungen („ich hab ja schließlich bezahlt, also habe ich dies oder jenes zugute!“). Ein Patentrezept zum Umgang in diesem oder jenem Konflikt erleichtert durch entsprechende Maßnahmen das Muss einer tieferen Auseinandersetzung mit sich selbst und bedient den zur Bequemlichkeit neigenden Anteil des eigenen Ego.

Fazit | Für meinen Begriff ist eine solche Intervention untherapeutisch oder sogar antitherapeutisch. Der andere Weg ist immer mühsamer und fordernder, dafür jedoch einschneidender, nachhaltiger und ehrlicher. Auch wenn hier der Therapeut manchmal ratlos erscheinen mag und stärker in den Verwandlungprozess miteinbezogen ist als im andern Fall, so ist dieser Weg doch letztlich der einzig wahrhaftige. Es gibt nie Patentrezepte oder generalisierte Lösungen. Diesen Teil der Medizin überlasse ich gerne den sogenanntem „evidenzbasierten“ Interventionen. Jeder Mensch hat, selbst wenn er äußerlich von derselben Diagnose betroffen ist, einen individuellen und originalen Weg zur Konfliktlösung bereit. Diesem Umstand muss unbedingt Rechnung getragen werden. Es gibt keine „Fälle“, sondern immer nur individuelle Menschen mit ihren jeweils vorhandenen spezifischen Ressourcen. Ich habe den allergrößten Respekt vor dem Bestehen in ungewissen Situationen, in die sich Therapeuten und Therapeutinnen immer wieder begeben, die diesen schwierigeren Weg beschreiten. Die Kunst bietet ein herausragendes Mittel auf diesem Weg!

Wirkstatt Basel… Kunst erleben…

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Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

 

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