Übertragung/Gegenübertragung und die Kunsttherapie

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Unsere Gedanken und Gefühle sind von Mustern geprägt. Die Wiederholung von Erfahrungen, Erlebnissen und Begebenheiten, prägen diese Muster und befestigen sie. Unsere Begegnungen in der Kindheit durch uns nahe stehende Personen, formen und konsolidieren alle diese Erfahrungen. Was daraus entsteht, ist so etwas wie ein Strickmuster der Gehirnstrukturen durch Wiederholung. Die Prägungen wachsen mit zunehmendem Alter aus und konstituieren sich in unserer Persönlichkeitsstruktur.

So wird jede neue Begegnung nach diesen Mustern abgestimmt, die uns von Kindsbeinen an mitgeprägt haben. Menschen die wir treffen haben ihre Rolle, ihre Verhaltensweise, ihren spezifischen Charakter. Solche Bedingungen stoßen auf vorgeprägten Strukturen. Wir entwickelten ein anderes Muster zu unseren Geschwistern, zum älteren Bruder zum Beispiel, als zum jüngeren, zur Schwester, und wieder andere zur Mutter, zum Vater usw. Jede dieser prägenden Erfahrungen verdichtet sich mit zunehmendem Alter. Was wir daraus in die Gedanken gießen und als Gefühle äußern, hat damit zusammenhängende, spezifische Eigenschaften. Sie sind mit den gemachten Erfahrungen mit den uns umgebenden Menschen aufs innigste verbunden. Die Reinlichkeit der Mutter, die Pedanterie des Vaters, die Dominanz des älteren Bruders oder der Neid der Schwester werden so zu Veranlagungen in unserem eigenen Charakter.

Jedes Mal wenn wir in unserem Leben auf neue Menschen treffen, werden diese Strukturen, die wir geschaffen haben reaktiviert. Manchmal weniger, manchmal mehr. Unser Verhalten nimmt diese Muster der Reaktionen und Gegenreaktionen auf. Es kann sein, dass der Mensch, der uns begegnet, uns an jemanden aus der Kindheit erinnert. Es können Charakterzüge sein, die uns ansprechen oder stören. Es können aber genauso gut Situationen sein, die an entsprechende Erlebnisse aus der Vergangenheit erinnern. All dies geschieht meistens unbewusst und ohne unsere Kontrolle. Sehr gut möglich, dass wir als Folge davon sogar unsere Beziehungen nach den konstituierten Prägungen aussuchen! Vielleicht wird unser Partner, unsere Partnerin einst dem Typus unseres Vaters oder unserer Mutter entsprechen.

Das aus der Kindheit geschaffene Verhaltensmuster können wir – mit der Begrifflichkeit der Transaktionsanalyse – das Lebensskript nennen. Dabei ist die Gesamtheit oder vielleicht besser, das Hauptthema unserer geschaffenen Strukturen gemeint. Diese Prägung kann mit den (negativen oder positiven) Erfahrungen mit unserer Mutter oder mit unserem Vater zu tun haben, oder ebenso gut zu anderen wichtigen Menschen im Umfeld der (vor allen Dingen frühen) Kindheit. Die in der Psychologie genannten Erlebnisse von Übertragung und Gegenübertragung haben mit diesen Prägungen zu tun.

Man kann darin durchaus Gesetzmäßigkeiten sehen, die unwiederbringlich und definitiv unser Leben bestimmen, ohne die Möglichkeit der Korrektur, der Verwandlung oder Entwicklung des Bewusstseins zu finden. Und in der Tat, liest man Biografien, wie jene von Hermann Hesse, ist man geneigt, sich kaum Chancen auszurechnen, solche Kräfte auszugleichen und mit sich ins Reine zu kommen. So wie seine Figuren immer wieder Zeugen des inneren Kampfes mit der Natur der Sinne und in Auseinandersetzung mit hohen Idealen sind, genau so zeigt sich die Ambivalenz der polaren Persönlichkeitsstruktur in uns immer wieder in einem neuen Gewand.

Es ist alleine schon fast eine Herkulestat, das Lebensskript zu durchschauen oder zumindest zu erkennen. Es benötigt eine große, innere Wachheit und Beweglichkeit. Diese wird dauernd gestört von den befestigten Prägungen, die wir geschaffen haben. Ein Ausbrechen aus dieser Not bedarf zunächst einer gründlichen Analyse. Aber das kann nur der Anfang sein. Denn die Analyse ist zunächst nichts anderes als die Erkenntnisseite für eine Annäherung an den eigenen inneren Wesenskern, aber noch keine Erfahrung davon! Es ist für eine hinreichende Bewusstseinsentwicklung nicht möglich, bei der Analyse stehen zu bleiben.

Hermann Hesse war jahrelang in einer Analyse, zuerst bei einem Schüler C.G. Jungs, bei Lang, danach beim Meister selbst. Was ihm letztlich aus seiner inneren Unruhe und nervösen Spannung heraus half, war die Kunst! Sowohl als Schriftsteller, vielmehr aber noch als Maler, fühlte sich Hesse ausgeglichen. Durch die Schriftstellerei konnte er die inneren Erlebnisse verarbeiten, durch die Malerei kam er zur Ruhe. Hier setzte ein Erlebnis ein, welches zu inneren Erfahrungen hinführte.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

Psychopharmaka und das Heildilemma

Ob von der Psyche zum Körper oder vom Körper zur Psyche – die Peptide bilden den Dreh- und Angelpunkt. Sie sind die Substanzen, die Leib und Seele miteinander verbinden. Wahrscheinlich gibt es nur wenige Vorgänge, bei deren Steuerung und Funktion sie nicht eine wichtige Rolle spielen. Schaut man genau hin, so sind sie schon von der ersten Stunde an mit von der Partie. Denn das Spermium ist nicht so klug, wie bisher gedacht. Es spürt das Ei nicht aus eigener Kraft auf, sondern wird von ihm angelockt. Wodurch? Natürlich durch Peptide.

Unsere innere Apotheke ist gut sortiert. Ob Schmerzmittel, Tranquilizer, Antidepressiva oder Schlafmittel – das Gehirn stellt sie rezeptfrei und kostenlos zur Verfügung. Wahrscheinlich gibt es für viele, vielleicht sogar für alle handelsüblichen Psychopharmaka entsprechende vom Gehirn selbst produzierte Substanzen. Das hat einen einfachen Grund. Medikamente können nur dann eine Wirkung er­zielen, wenn sie die in den Zellen ablaufenden Prozesse beein­flussen können. Dies gelingt ihnen, indem sie sich an einen Re­zeptor an der Oberfläche einer Zelle binden. Dazu müssen sie al­lerdings die passende molekulare Struktur haben, sonst öffnet der Schlüssel nicht das Schloß. Doch unsere Rezeptoren sind nicht für die Pharmaindustrie gemacht, sondern für unsere eigenen »Medikamente«. Wie schlecht wir davon Gebrauch machen, zeigt der jährlich verschlungene Tablettenberg. Gelänge es uns, unser eigenes Potential besser zu nutzen, so könnten wir uns so man­chen Gang zur Apotheke sparen und würden dabei noch etwas ge­gen die Kostenexplosion im Gesundheitswesen tun.

Unsere körpereigenen Medikamente sind dabei jedem Pharma­medikament haushoch überlegen. Sie wirken gezielt und spezi­fisch. Der Körper gibt sie in der richtigen Dosierung ab, sie haben keine Nebenwirkungen und werden ohne Probleme wieder abge­baut. Im Vergleich dazu führen sich viele Medikamente wie ein Elefant im Prozellanladen auf. Sie blockieren die Rezeptoren und kümmern sich wenig um das fein abgestimmte Zusammenspiel der biochemischen Prozesse des Körpers. Die mehr oder weniger lange Liste der Nebenwirkungen auf den Beipackzetteln von Medikamenten spiegelt dies wider. Erst vor kurzem wurden etwa Valiumrezeptoren auf Immunzellen entdeckt. An eine mögliche Beeinflussung des Immunsystems hat wahrscheinlich kein Dok­tor gedacht, der in den letzten dreißig Jahren seinen Patienten wegen jeder Kleinigkeit einen Tranquilizer verschrieb.

Dies alles spricht nicht gegen den gezielten Einsatz von Medika­menten, wenn es dafür eine klare medizinische Indikation gibt. Es spricht allerdings klar dafür, sich mehr um unser eigenes inne­res Heilungspotential zu kümmern. Jeder kann lernen, es für sei­ne eigene Gesundung einzusetzen. Ob wir es wissen oder nicht, wir können uns selbst heilen.

Mit jedem neuen Gedanken verändern sich das chemische Muster des Gehirns, die Zusam­mensetzung und Lokalisation seiner Botenmoleküle. Es besteht kein Zweifel daran: Unser Denken formt die materielle Realität des Gehirns. Zumindest im molekularen Bereich sind wir, was wir denken. Was sagte die vedische Literatur schon vor 5000 Jahren? Der Körper ist die Projektion des Bewußtseins. Das war ein Voll­treffer. Es scheint, die Wissenschaft ist dort angekommen, wo die Intuition schon immer war.

Jetzt zeigt sich das kunstvolle Zusammenspiel zwischen Seele und Körper in seinem ganzen Ausmaß. Genau genommen wirkt sich jeder neue Gedanke auf den ganzen Körper aus. Wenn ein angst­voller Gedanke durch den Kopf geht, zieht die Angst auch durch den Körper. Denn die mit der Angst verbundenen Botenstoffe be­einflussen das vegetative Nervensystem, verändern die Balance der Hormone, wirken sich auf den Stoffwechsel aus, auf den Blut­druck, die Körpertemperatur, die Verdauung, natürlich auch auf die Immunzellen und wahrscheinlich – wir können es noch nicht genau genug messen – auf jede einzelne Zelle. Weshalb chroni­sche Hoffnungslosigkeit, Einsamkeit oder Niedergeschlagenheit sich gesundheitlich so verheerend auswirken können, ist nun of­fensichtlich: Der Körper bekommt immer wieder die gleichen »deprimierenden« Botschaften, die seine Vitalität hemmen, seine Widerstandskraft beanspruchen und seiner Gesundheit zusetzen. Doch schon im nächsten Augenblick kann sich das ganze Bild än­dern. Eine glückliche Erinnerung erzeugt ein neues Muster und löst im Körper eine »glückliche« Reaktion aus. Wie oben, so un­ten – diese alte esoterische Weisheit hat es in sich. Körper und See­le bewegen sich zwar in unterschiedlichen Welten, doch sie sind, paradox wie es ist, nicht voneinander getrennt.

Urs Weth, „Selbst-Reflexion als soziale Kernkompetenz“ – „Ursli und der Traum vom Schiff“, Kinderbuch… – „Lebendige Prozesse“, Fachbuch über Kunsttherapie…

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